Auf dem Sofa durch die Städte der Welt

Geschrieben am 20.11.2015 von

Vor fünf Jahren startete bei uns der Internetdienst Google Street View. Am 2. November 2010 konnte man eine Anzahl Sehenswürdigkeiten sowie Oberstaufen im Allgäu virtuell besuchen, ab dem 18. November 2010 die zwanzig größten Städte Deutschlands. Zum Jubiläum schauen wir uns an, mit welchen bildlichen, filmischen und digitaltechnischen Mitteln die Couch Potatoes die Welt eroberten.

Philon von Byzanz hatte es noch leicht. Er baute nicht nur Automaten, sondern schrieb um 200 vor Christus auch einen Reiseführer zu den Sieben Weltwundern, und er wusste: bei der Lektüre seiner Schrift sieht der Leser „das ganze Kunstwerk wie in einem Spiegel und bewahrt so die jeweiligen Merkmale dieser Bilder unauslöschlich; mit der Seele nämlich hat er die Wunder geschaut“.

1500 nach Christus wollte der Leser schon mehr. In diesem Jahr vollendete der italienische Maler und Zeichner Jacopo de‘ Barbari einen fast drei Meter breiten Holzschnitt, der seine Heimat Venedig aus der Vogelschau zeigt. Man erkennt jedes Haus, jede Straße, jeden Kanal und jede Gondel auf dem Kanal, auch die Schiffe in der Werft, und obwohl es de‘ Barbari auf den Blick von oben ankam, ist sein Stadtportrait die erste Annäherung an das, was wir heute Street View nennen.

In den nächsten Jahrhunderten produzierten Künstlern noch viele andere Luftbilder von Städten. 1948 erfand der Braunschweiger Grafiker Hermann Bollmann die Bildkarte, eine 3D-Darstellung mit erhöhten Häusern und verbreiteten Straßen, wie in diesem New-York-Plan zu erkennen. Von 1958 an fuhr Bollmann im VW durch die zu erfassende Stadt und nahm mit einer fest installierten Kamera die Straßen auf. Diese Fotos und weitere aus einem Flugzeug bildeten die Basis für den Kartenzeichner, zu Recht sprach die WELT von „Street View made in Braunschweig“.

Eine ganz andere Art der Straßenschau erschloss im Frühjahr des Jahres 1906 der amerikanische Filmemacher Harry J. Miles. Er bestieg die Kabelstraßenbahn in der Market Street von San Francisco, hielt die Kamera in Fahrtrichtung und kurbelte 13 Minuten lang. Das Resultat zeigt die Stadt noch unzerstört vom Erdbeben am 18. April 1906 und kann auf YouTube studiert werden. Hier findet man auch Auto-Videos aus Los Angeles und Umgebung aus den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren.

1966 gab der amerikanische Pop-Art-Künstler Edward Ruscha, besser bekannt als Ed Ruscha, sein Buch „Every Building on the Sunset Strip“ heraus. Zuvor hatte er mit einer auf einem Kleinlaster aufgebauten Nikon-Kamera jedes Haus der 2,4 Kilometer langen Straße am Rand von Los Angeles fotografiert, die eigentlich ein Abschnitt des Sunset Boulevard ist, und die Bilder beider Straßenseiten zu Panoramen verarbeitet. Im Buch sind diese als Leporello gefaltet und siebeneinhalb Meter lang – und kosten im antiquarischen Handel mittlerweile einen vierstelligen Eurobetrag.

1978 und 1979 entstand ein analoger Vorläufer der Street-View-Technik. Die Aspen Movie Map war ein Projekt des Massachusetts Institute of Technology und des US-Verteidigungsministeriums. Ein Auto fuhr dabei die Straßen der Kleinstadt in den Rocky Mountains ab. Vier 16-mm-Filmkameras mit Einzelbildschaltung nahmen alle drei Meter ein Foto auf. Die Bilder wurden auf Laserdisc gebrannt und lieferten auf dem Touchscreen beliebige Touren durch den Ort. Das Video zeigt die Ähnlichkeit zu Google Street View sowie die Nonchalance, mit der man vor dem Monitor noch Pfeife rauchte.

Dann passierte eine Weile gar nicht, doch im Januar 2005 startete a9.com, die Suchmaschine der Internetfirma Amazon, die Funktion BlockView. Sie bot Fotos von Läden und ihrer Nachbarschaft in amerikanischen Großstädten an, angeblich 20 Millionen Bilder. Im Juni wurden diese mit einem Kartendienst verknüpft, und man konnte nun, um einen User zu zitieren, „virtually ‚drive‘ down the street, seeing the homes and storefronts on both sizes“. Auch die Zeitschrift CHIP berichtete darüber und meinte: „Vor der nächsten USA-Reise ist ein Besuch der Internet-Seite Pflicht.“

Leider schloss Amazon seinen Dienst am 29. September 2006. Nun war der Weg frei für den Street View von Google, einer Unterfunktion von Google Maps, die am 25. Mai 2007 eingeschaltet wurde. Ihre Ursprünge lagen im CityBlock, einem Projekt der kalifornischen Stanford-Universität. Es ging auf eine Anregung von Google-Mitgründer Larry Page zurück, lief von 2001 bis 2006 und fertigte lange Bildstreifen von Straßenfronten an. Technik und Ideen der CityBlocker wurden vom Street-View-Team übernommen, das 2006 mit dem Fotografieren begann, der Rest ist bekannt.

Bekannt ist ebenso der Widerstand, der sich in Deutschland vor der Freischaltung gegen Street View aufbaute und zu 244.237 Anträgen auf Verpixelung führte. Diese wollen wir nicht weiter analysieren, sondern nur zur Kenntnis nehmen. Nicht verpixelt, aber entfernt – man darf raten warum – wurde ein Bericht über die „Early Days on Street View“ in den USA, den ein Beteiligter 2014 gebloggt hatte. Texte im Internet verschwinden aber nicht so schnell wie deutsche Mietshäuser; die frühen Tage des Bilderdienstes lassen sich hier nacherleben.

Eingangsbild: Bob Bobster, CC BY 2.0

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