Ich bin der Rechenfix

Geschrieben am 24.01.2025 von

Multiplikationstafeln sind die ältesten und langlebigsten Hilfsmittel der Mathematik. In der DDR erlebte der Taschenrechner FIX mehrere Auflagen; er wurde noch in den 1970er-Jahren verkauft. Eine ähnliche Publikation gab es in der Bundesrepublik. In Braunschweig und in Berlin erschien ab 1951 der Rechenfix. Er knüpfte an ein Tabellenbuch mit gleichem Namen aus der Kaiserzeit an.

Es begann 1878. In jenem Jahr übernahm Ernst Kuhn, über den wir sonst nichts wissen, ein Geschäft an der Belle-Alliance-Straße in Berlin. Es ging auf Wilhelm Reimer zurück; von seinem Unternehmen überlebten ein Foto und einige Informationen. Die neue Firma trug den Namen W. Reimer Nachf. Ernst Kuhn; sie verkaufte Drucksachen, Geschäftsbücher und Papierwaren. Der Vorname Ernst fiel dann weg, und es stellte sich die Abkürzung RNK ein.

1935 kam es zur Gründung eines Ablegers, des RNK Fachgroßhandels, ein zweiter folgte 1948 in Gestalt des RNK Vordruckverlags in Braunschweig. Hier und in Berlin erschien 1951 der „Rechenfix für Multiplikation, Division, Mengen-, Maß-Berechnung, Lohnrechnung, Kalkulation und weitere Rechenarten“. Er war eine Multiplikationstafel mit 207 Seiten und zusätzlichen Angaben zu Brüchen und Handelsspannen. Von der mathematischen Leistung entsprach sie dem Taschenrechner FIX aus der DDR.

Eine um 90 Grad gedrehte Seite aus dem Rechenfix; unten stehen die vierzehn Brüche. Bitte für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild klicken!

Der Rechenfix war etwas größer als der FIX; das Format betrug 15 mal 21,4 Zentimeter. Er lieferte die Multiplikationen von 2 bis 100 – die DDR-Tafel endete bei 99 – mit den Zahlen von 1 bis 999. Wie im Scan erkennbar, machte er die Benutzung einfach. Man schlug den ersten Faktor auf und suchte in den Spalten den zweiten; daneben stand das Resultat. In der Mitte der Seiten fand man noch vierzehn Brüche des ersten Faktors. Auf Seite 5 brachte das Buch eine Liste mit Handelsaufschlägen und Handelsspannen, ausgedrückt in Prozenten.

Neben dem Rechenfix bot der Verlag weitere Zahlenwerke an. Der RNK-Schnell-Kalkulator ermittelte Verkaufspreise bei Einkäufen von einem Pfennig bis 150 DM und berücksichtigte Handelsaufschläge von zwei bis 95 Prozent. Der Lohnrechner „Im Fluge“ lieferte Beträge für volle und halbe Stunden und die Zuschläge für Viertel- und Dreiviertelstunden; er enthielt 114.600 fertige Ausrechnungen. Angeblich bezog die Bundesbahn 18.900 Exemplare. RNK produziert auch Zinstabellen aus Pappe für 42 verschiedene Zinsfüße.

Eine Anzeige im Rechenfix warb für den Schnell-Kalkulator aus dem gleichen Verlag.

Während beim DDR-Taschenrechner FIX der Urheber Curt Schade namentlich bekannt ist, verschwieg RNK den Autor des Rechenfix. Das hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass die Firma das Prinzip und den Namen von einer älteren Tafel übernahm. Es gab schon um 1910 einen „Multiplikator“ Rechenfix, der von dem Kaufmann Carl Knoblauch entworfen wurde. Die erste Auflage erschien im Selbstverlag, die zweite 1913 in einem Verlag in Dresden. Google Books nennt eine fünfte Auflage aus dem Jahr 1938.

Der erste Rechenfix multiplizierte die Zahlen von 1 bis 100 mit denen von 1 bis 1000, er tat also ein wenig mehr als die Ausführung von 1951. Genau wie diese verband er aber stets den zweiten Faktor der Aufgabe mit dem Endresultat. Der Hauptunterschied lag im Layout. Der Ur-Rechenfix besaß auf jeder Seite zehn Spalten mit hundert Zeilen, was zu einem extremen Hochformat von 12 mal 35 Zentimeter führte. Fotos eines erhaltenen Exemplars befinden sich auf der Internetseite eines tschechischen Auktionshauses.

Diese Anzeige stand im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel vom 21. Juli 1913.  Bitte anklicken!  (Foto SLUB Dresden)

Rechenfixe sind heute relativ selten, man findet sie am ehesten in Antiquariaten oder in Privathand. Die große Online-Sammlung LOCOMAT kennt die Tafelwerke nicht. Der globale Bibliothekskatalog WorldCat erwähnt ein Exemplar aus dem Jahr 1956 in Kanada. Eine etwas strapazierte alte Ausgabe verwahrt das Museum der Hafenstadt Luleå – sie liegt am Ende der Ostsee 110 Kilometer südlich des Polarkreises. Wie es scheint, entstand damals eine schwedische Version.

Wir kehren noch einmal zur Geschichte der RNK zurück. Im Jahr 2005 fusionierten der Braunschweiger Vordruckverlag und die Druckerei Reimer Nachf. Kuhn in Berlin zur RNK Verlag Reimer Nachf. Kuhn Stiftung & Co. KG; sie saß vor den Toren Berlins in Großbeeren. 2022 wurde die Firma von der Roth GmbH aus Lichtentanne bei Zwickau übernommen. Am Berliner Mehringdamm – der früheren Belle-Alliance-Straße – erinnert eine Fassade mit Neonröhren an die alten Zeiten. In Braunschweig waren 2014 noch RNK-Spuren sichtbar.

Zum Schluss danken wir Professor Erhard Anthes für seinen Hinweis auf den Rechenfix, aus dem sich der vorliegende Blogbeitrag ergab.

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