200 Jahre Differenzmaschine
Geschrieben am 14.06.2022 von HNF
Der englische Mathematiker Charles Babbage wurde 1791 geboren und starb 1871; er war der große Visionär der Informatik. Er erdachte die Difference Engine für Rechentafeln und die Analytical Engine, einen mechanischen Computer. Zu seinen Lebzeiten wurde keines seiner Konzepte realisiert. Am 14. Juni 1822 gab Babbage aber ein Versuchsmodell seiner Differenzmaschine bekannt, das gut funktionierte.
„Einigen Mitglieder unserer Gesellschaft ist bekannt, dass ich mich in den letzten Monaten mit der Entwicklung einer Maschinerie beschäftigte, die unter Einsatz eines Antriebs jede gewünschte mathematische Tafel berechnet. Nunmehr kann ich die Gesellschaft mit dem erfolgreichen Abschluss meiner Arbeiten vertraut machen.“
So begann eine Mitteilung an die Astronomische Gesellschaft von London, die am 14. Juni 1822 verlesen wurde. Sie kam vom 1791 geborene Charles Babbage, Mathematiker und Gründungsmitglied jener Gesellschaft. Vor zweihundert Jahren studierten die Astronomen Himmelsobjekte mit dem Fernrohr, außerdem erstellten sie Tafeln mit den Bahnwerten von Sonne, Mond und Planeten. Sie halfen unter anderem bei der Navigation und waren für eine Seemacht wie England höchst wichtig. Babbage interessierte sich für solche Tafelwerke.
Er wusste, dass sie stets Rechen- oder Druckfehler aufwiesen, und er suchte einen Weg, um sie auszuschließen. Seine Lösung war ein Gerät, das die Elemente der Tafel automatisch berechnete und zu Papier brachte. Babbage nannte es Differenzmaschine. Seine Mitteilung enthüllte die Existenz eines Versuchsmodells; es besaß kein Druckwerk, aber es zeigte, dass die angedachte Mechanik funktionierte. Die Difference Engine No. 0, wie sie später hieß, war der erste Schritt von einer gewöhnlichen Rechenmaschine zum Computer.
Sie ist nicht erhalten, doch die Literatur liefert eine ungefähres Bild. Die Maschine umfasste 18 Räder auf drei vermutlich vertikalen Achsen. Die Räder speicherten drei Zahlen, den gewünschten Tafelwert und zwei Differenzen. Zu Anfang stellte der Bediener drei Startbeträge ein. Danach ging das Gerät schrittweise vor: Nach Ablesen des Tafelwerts errechnete es mit Kurbelhilfe aus dem gespeicherten Zahlentrio ein neues Tripel. Ihm wurde der nächste Tafelwert entnommen. Diese Prozedur ließ sich beliebig fortsetzen.
Die mathematische Basis der Differenzmaschine ist der Differenzenkalkül. Ein Beispiel soll genügen, die Folge der Quadrate 1, 4, 9, 16, 25, 36… Ihre Abstände ergeben die ungeraden Zahlen 3, 5, 7, 9, 11… mit der Differenz 2 dazwischen. Unsere Maschine kehrt das Verfahren um. Sie addiert Differenzen und Quadrate und bildet so die Mitglieder der Reihe: 3 + 1 ist 4, (2+3) + 4 ist 9, (2+5) + 9 ist 16, (2+7) + 16 ist 25 und so weiter. Wir haben die Methode schon ausführlich in unserem Blog geschildert.
In der Nachricht an die Londoner Astronomische Gesellschaft erwähnte Babbage die Formel x² + x + 41. Für die x-Werte 1, 2, 3, 4,… ermittelte seine Differenzmaschine die Resultate 43, 47, 53, 61… Bei einem Test maß der Mathematiker zweieinhalb Minuten für die Berechnung von dreißig Input-Zahlen; in Ziffern ausgedrückt, produzierte die Maschine 33 pro Minute. Allerdings arbeitete sie so schnell, dass man Outputs mit mehr als drei Ziffern nicht mehr direkt mitschreiben konnte.
Babbage plante natürlich eine Differenzmaschine mit Druckwerk, genauer gesagt, zum Anfertigen von Stereotypie-Platten. Er erhielt von der Regierung insgesamt 17.000 Pfund, nach zehn Jahren wurde das Projekt eingestellt. Erhalten blieb ein Fragment im Londoner Science Museum. 1991 realisierte das Museum das Rechenwerk einer weiteren von Babbage entworfenen Differenzmaschine. Eine Kopie von Teilen daraus ist im HNF ausgestellt und im Eingangsbild zu sehen. 2002 erhielt die Difference Engine No. 2 auch einen Drucker.
Wie wir im Blog erzählten, schuf der jungen Ingenieur Edvard Scheutz 1843 eine druckende Differenzmaschine in Stockholm. Charles Babbage sah noch die praktisch verwendbare Maschine, die eine englische Firma 1859 nach schwedischen Plänen baute. Sie befindet sich ebenfalls im Science Museum. Babbage starb 1871 in London. Die Analytical Engine, sein riesiger mechanischer Computer, blieb ein Traum. Seine Schriften zur Maschine von 1822 lassen sich hier nachlesen, sie gehen von PDF-Seite 224 bis 235.