500 Jahre „nach Adam Riese“

Geschrieben am 04.10.2022 von

Ab dem 3. Oktober 1522 druckte ein Verlag in Erfurt das zweite Buch des dreißigjährigen Adam Ries. Es beschrieb das Rechnen auf den Linien, sprich auf dem Rechenbrett, sowie das mit der Schreibfeder und mit Dezimalzahlen. Das Werk wurde ein Bestseller und jahrzehntelang nachgedruckt. Es machte seinen Autor zum bekanntesten deutschen Unterweiser in der Mathematik.

Nein, er hieß nicht Adam Riese, sondern Adam Ries mit nur einem „e“. Geboren wurde er 1492 in Staffelstein (heute Bad Staffelstein); der Ort liegt in Oberfranken zwischen Coburg und Bamberg. Der Vater besaß eine Mühle, der Familie ging es wohl gut. Über die Schulen, die der junge Mann besuchte, wissen wir nichts, ein mathematisches Manuskript von 1517 zeigt aber, dass Adam Ries Latein beherrschte. Ab 1518 lebte er in Erfurt. Dort gründete er eine Rechenschule und verkehrte auch mit Professoren der Universität.

1518 veröffentlichte Ries sein erstes Buch, „Rechnung auf der linihen“. Es schilderte die Technik, auf einem Tisch durch das Hin- und Herschieben von Münzen die Grundrechenarten zu praktizieren. Sie verwendete das Dezimalsystem und ging auf den antiken Abakus zurück. Die Erstauflage des Werks ist verschollen; ein Exemplar der Ausgabe von 1525 gelangte in die Bibliothek der Hamburger Handelskammer, ein zweites in die Columbia-Universität von New York. Es bildete die Grundlage einer Neuedition, die 2018 in Speyer erschien.

Titelblatt von Adam Ries‘ erstem Buch. Der Herr sitzt an einem Rechentisch.

Der Erstling von Adam Ries war nicht das erste Rechenbuch auf Deutsch. Seit spätestens 1482 wurden Ratgeber für die mathematische Praxis in der Volkssprache gedruckt. Sie richteten sich vor allem an Kaufleute ohne akademische Vorbildung. Einige Werke lehrten schon das schriftliche Rechnen mit Dezimalzahlen. So verfasste der Schwabe Johann Böschenstein im Jahr 1514 Ain New geordnet Rechenbiechlein mit den zyffern; Adam Ries hat es sicher gekannt. Eine Liste mit frühen Rechenanleitungen findet sich hier.

1522 brachte der Erfurter Schulmeister sein zweites Buch heraus: „Rechenung auff der Linien vnd federn in zal maß und gewicht“ Es erschien im Verlag von Mathes Maler. Am Ende des Werkes verriet Adam Ries den Tag des Erstdrucks: Freitag nach Michaelis. Dieses Fest ist dem Erzengel Michael gewidmet und wird am 29. September gefeiert. 1522 fiel es auf einen Montag; der Freitag war also der 3. Oktober. Die Worte „zal maß und gewicht“ erinnern an den bekannten Bibelspruch von Maß, Zahl und Gewicht, mit dem Gott die Welt ordnete.

Von der ersten Auflage der Rechnung auf den Linien und Federn überlebte ein Exemplar; es liegt in der Bibliothek des St. John’s College in Cambridge. Der Mathematikdidaktiker Stefan Deschauer erstellte mehrere moderne Ausgaben, von denen eine für wenig Geld erhältlich ist. Das Internet bietet die Version von 1525 an. Seltsamerweise enthält sie das Portrait von Adam Ries aus dem Jahr 1550, siehe unten. Wahrscheinlich druckte der Verleger – er saß in Frankfurt an der Oder – damals einfach die ältere Ausgabe nach.

Ries‘ zweites Buch erschien ab 1522. Dieser Nachdruck weist das 1550 erstellte Portrait auf.

Adam Ries‘ Buch von 1522 entwickelte sich zu einem Best- und Longseller. Bis 1656 brachten es 53 Verleger in dreizehn Städten heraus; belegt sind mehr als hundert Auflagen. Die späteren Editionen wurden gelegentlich verändert und erweitert. Das Werk etablierte Ries als den Rechenlehrer der Deutschen; der Spruch „Nach Adam Riese“ lässt sich ab etwa 1760 nachweisen. Der Erfolg des Buchs lag nicht nur an der deutschen Sprache. Der Autor begann mit dem vertrauten Rechenbrett und erklärte danach mit einer Fülle von Anwendungen die Algorithmen des neuen schriftlichen Rechnens.

Die „Rechenung auff der linihen und federn“ führt also auch in die Lebenswelt des 16. und 17. Jahrhunderts ein. Am Schluss des Buches beschäftigte sich Adam Ries mit komplexeren Aufgaben, die er mit der Regula Falsi löste, einer Art systematisches Probieren. Hier finden wir ein mittlerweile klassisches Problem der Unterhaltungsmathematik. Eine Schnecke sitzt am Grunde eines 32 Ellen tiefen Brunnens und möchte hinaus. Am Tage klettert sie 4 2/3 Ellen hoch; nachts rutscht sie 3 3/4 Ellen hinunter. Wann erreicht sie den Brunnenrand?

Klar ist, dass die Schnecke nach dreißig Tagen 27 1/2 Ellen über dem Brunnengrund klebt und 4 1/2 Ellen unter dem Rand. Für diese Strecke benötigt sie noch 27/28 eines Tages, dann ist der Aufstieg geschafft. Falls man die absolute Zeit nimmt und die Längen von Tag und Nacht gleichsetzt, braucht sie knapp 30 1/2 Tage. In der Erstauflage seines Buches gab Adam Ries die falsche Lösung 30 9/11 Tage an. Die Ausgabe von 1525 nannte 30 27/28 Tage. Vor dem Schneckenproblem befasste sich Ries übrigens mit magischen Quadraten.

Sein drittes Werk von 1550 wird gewöhnlich als „Practica“ bezeichnet.

1522 zog Adam Ries nach Annaberg im Erzgebirge. Er eröffnete wieder eine Rechenschule; sein Geld verdiente er aber eher in der Verwaltung der örtlichen Bergwerke. In den 1530er-Jahren verfasste er die Annaberger Brotordnung, eine Rechentafel für Getreidepreise. 1550 erschien in Leipzig sein drittes Rechenbuch, die Practica. Sein Werk zur Algebra, die Coß, wurde erst 1992 als Faksimile gedruckt, hier kann man das Manuskript online lesen. Eine Transkription des zentralen Teils, angefertigt im Jahr 1860, liegt auf Google Books vor.

Adam Ries starb am 30. März 1559 in Annaberg; zu seinem 450. Todesstag erschien dieser Artikel. Er war zweimal verheiratet und hatte acht Kinder; drei seiner fünf Söhne arbeiteten als Rechenmeister. In Annaberg gibt es ein Adam-Ries-Museum; auch in Bad Staffelstein wird seiner gedacht. Unser Eingangsbild oben zeigt das einzig bekannte Portrait von ihm, das 1550 entstand. Das Kreuz mit den Ziffern 2 und 4 deutet die Neunerprobe an.

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