70 Jahre Doppel-Helix
Geschrieben am 21.04.2023 von HNF
Die Desoxyribonukleinsäure DNA enthält die Daten allen Lebens. Ihr Molekül besteht aus zwei gegeneinander versetzten Schrauben, die eine Doppel-Helix bilden. Am 25. April 1953 brachte die Zeitschrift „Nature“ einen Artikel über ein Strukturmodell. Autoren waren der englische Physiker Francis Crick und der amerikanische Genetiker James Watson. Ihre Arbeit läutete ein neues Zeltalter der Biologie ein.
Auch Mutter Natur weiß, was Copy and Paste ist. Sie wendet die Methode seit Milliarden Jahren in lebendigen Zellen an. Wenn sich eine Zelle teilt, spaltet sich in ihr das Molekül mit der Erbinformation auf. Aus den zwei Hälften entstehen Kopien des Ausgangsmoleküls, die in die neuen Zellen eingehen. Die Biologen nennen das eine Replikation, das Molekül ist die Desoxyribonukleinsäure oder DNA – früher sagte man DNS. Poetische Naturen sprachen vom Secret of Life, dem Geheimnis der Schöpfung.
Aufgedeckt wurde es vor siebzig Jahren in England. Eine dabei genutzte Technik, die Beugung von Röntgenstrahlen an Kristallen, erdachte der deutsche Physiker Max von Laue 1912. Eine wichtige Rolle bei der Lösung des DNA-Rätsels spielte der Bau von Modellen, die die Struktur des Moleküls wiedergaben. Unser Eingangsbild zeigt die Haupthelden unserer Geschichte, James Watson (links) und Francis Crick, an solch einem Modell. Es stand 1953 in der Universität Cambridge; heute ist es im Londoner Science Museum ausgestellt.
James Watson gibt es auch noch. Er wurde am 6. April 1928 in Chicago geboren. Schon mit fünfzehn begann er das Studium; 1947 machte er den Bachelor im Fach Zoologie, 1950 promovierte er über ein Thema aus der Virenforschung. Mit einem Stipendium ging Watson danach zur Universität von Kopenhagen. Im Mai 1951 besuchte er eine Konferenz in Neapel; dort zeigte der im Londoner King’s College tätige Biophysiker Maurice Wilkins Röntgenbilder von DNA-Proben. Sie deuteten molekulare Strukturen an und weckten Hoffnung auf weitere wissenschaftliche Erkenntnisse.
James Watson sah das mit Begeisterung, die künftige Karriere stand für ihn fest. Zunächst musste er die Analyse der DNA erlernen. In die Hochschule von Maurice Wilkins kam er nicht hinein, er erhielt jedoch einen Platz im Cavendish-Labor der Universität Cambridge. Es befasste sich mit Physik, sein Direktor Sir Lawrence Bragg tritt hier im Film auf. Er kannte sich mit der Erforschung von Kristallstrukturen durch Röntgenstrahlen aus; er und sein Vater hatten 1915 dafür den Nobelpreis gewonnen. Im September 1951 begann James Watson seine Tätigkeit in Braggs Labor.
Watson teilte das Büro mit Francis Crick. Geboren am 8. Juni 1916, wuchs Crick in der Nähe von Northampton auf – die Stadt liegt hundert Kilometer nördlich von London. Sein Vater und sein Onkel stellten Stiefel und Schuhe her. Crick studierte in der Hauptstadt Physik bis zum Bachelor-Grad; im Zweiten Weltkrieg arbeitete er in einem Forschungsinstitut der Marine. Danach setzte er das Studium in Cambridge fort, wobei er sich der Biologie zuwandte. 1951 saß er noch immer an seiner Dissertation, er interessierte sich aber für Röntgen-Analysen von organischen Molekülen. Mit Watson verstand er sich auf Anhieb.
Die Zusammenarbeit des ewigen Studenten Francis Crick mit dem jungen Post-Doc James Watson führte dann zu einem Durchbruch in der Lebenswissenschaft. Am 28. Februar 1953 fügte Watson die letzten Stücke des Puzzles zusammen, das die Struktur der DNA ergab. Am 25. April erschien der Aufsatz der beiden Forscher in der Zeitschrift Nature; er umfasst nur knapp tausend Worte. Der Amerikaner beschrieb den Weg zum DNA-Modell in seinem Buch Die Doppel-Helix. Das Original erschien 1968, die deutsche Fassung kam im Folgejahr. Man kann sie nach Anmeldung im Internet Archive lesen.
Wichtige Beiträge zur Schaffung des Modells leistete die Chemikerin und Kristallografin Rosalind Franklin. Sie war Jahrgang 1920 und eine Kollegin von Maurice Wilkins im King’s College. Resultate ihrer Forschung und ein DNA-Foto, das auf eine Helix hinwies, wurden James Watson und Francis Crick bekannt, als sie in Cambridge ihre Doppelspirale bastelten. Rosalind Franklin erfuhr davon nichts, auch weil sie Anfang 1953 in London eine neue Stelle antrat. Sie starb 1958, Anerkennung fand sie erst Jahrzehnte später.
Watson, Crick und Wilkins erhielten 1962 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin, wie er offiziell heißt. Zu dieser Zeit war James Watson Professor an der Harvard-Universität; später leitete er das Cold Spring Harbor Laboratory in der Nähe von New York. Francis Crick arbeitete in Cambridge, ab 1976 war er in Kalifornien tätig. Im Alter befasste er sich mit der Erforschung des Bewusstseins. Er starb am 28. Juli 2004 in San Diego. Maurice Wilkins blieb am King’s College in London; er starb wenige Monate nach Francis Crick im 88. Lebensjahr.
Wer noch mehr von der Enthüllung der DNA wissen möchte, sollte die erweiterte Ausgabe von Watsons Buch lesen: The Double Helix enthält unter anderem Rezensionen, den Watson-Crick-Aufsatz vom 25. April 1953 sowie Artikel von Maurice Wilkins und Rosalind Franklin, die im selben „Nature“-Heft standen. Lesenswert sind auch Watsons Memoiren Avoid Boring People.von 2007. Eine Geschichte der modernen Molekulargenetik legte 1979 der Amerikaner Horace Judson mit The Eighth Day of Creation vor. Die deutsche Fassung „Der 8. Tag der Schöpfung“ gibt es wohl nur in Bibliotheken.
1987 verfilmte die BBC das Abenteuer von Watson und Crick; das ist der erste und das der zweite Teil der „Life Story“. Die Hauptrollen spielten Jeff Goldblum und Tim Piggott-Smith. Die realen Forscher traten 1974 in einem BBC-Bericht auf. Wir treffen außerdem Maurice Wilkins, den Chemie-Nobelpreisträger Linus Pauling und Raymond Gosling, der als Assistent für Rosalind Franklin arbeitete. 1993 entstand hierzulande „James Watson, Francis Crick und die Molekulargenetik“. Wir schließen mit der gerade laufenden Genetik-Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum, dort gibt es ebenfalls eine schöne Doppel-Helix.
Für mich ist Rosalind Franklin die Entdeckerin. Die beiden Nobelpreisträger haben unter Zuhilfenahme eines Dritten die Aufnahmen gestohlen. Aber so ist die Wissenschaft. Frauen stehen hinten an.
Die deutsche Übersetzung des persönlichen Berichts von James Watson über die Entdeckung der DNS-Struktur stammt übrigens von Wilma Fritsch. Sie wurde unter dem Namen Wilma (Ruth Stefanie) Papst am 14. Juli 1907 in Berlin geboren und promovierte 1932 an der dortigen Friedrich-Wilhelms-Universität mit der Arbeit „Gottlob Frege als Philosoph“. Von der Gestapo verfolgt musste sie zusammen mit Ehemann und Kind nach Frankreich emigrieren. Sie lebte und arbeitete in Paris als freie Publizistin und Übersetzerin. In ihrem Buch „Links und Rechts in Wissenschaft und Leben“ (1964) setzte sie sich mit einem Phänomen auseinander, das auch in der links-rechts-asymmetrischen Watson-Crick-Basenpaarung der DNA eine Rolle spielt.