Alexander von Humboldt und die Rechenmaschinen

Geschrieben am 10.09.2019 von

Vor 250 Jahren, am 14. September 1769, wurde Alexander von Humboldt geboren. Von 1799 bis 1804 war er in Südamerika und in Mexiko unterwegs; 1829 bereiste er Russland. Seine Forschungen revolutionierten die Erd- und Naturkunde. Humboldt förderte auch Mathematiker; er selbst schrieb einen Aufsatz zur Geschichte der Zahlensysteme. Darüber hinaus interessierte er sich für Rechenmaschinen.

In diesen Tagen bringen gedruckte wie elektronische Medien viel über Alexander von Humboldt, den Forscher, Schriftsteller  und Förderer der Wissenschaft. Am 14. September feiern wir seinen 250. Geburtstag; unklar ist, ob er in Berlin oder im damals außerhalb gelegenen Schloss Tegel zur Welt kam. Bis heute befassen sich Wissenschaftshistoriker mit seinen Reisen durch Lateinamerika von 1799 bis 1804. Eine weitere Expedition führte Humboldt 1829 nach Russland und Sibirien.

Spätestens seit dem Roman Die Vermessung der Welt wissen wir vom Kontakt zwischen Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß. Humboldt unterstützte auch die jüngeren Mathematiker Dirichlet und Jacobi und den früh verstorbenen Gotthold Eisenstein. Daneben tat er viel für die Astronomie. So sorgte er dafür, dass die Berliner Sternwarte ein teures, aber leistungsfähiges Fraunhofer-Teleskop erhielt. Mit diesem Fernrohr wurde 1846 der Planet Neptun entdeckt; es steht heute im Deutschen Museum.

Am 2. März 1829, einen Monat vor seiner Russlandreise, verlas Humboldt in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin eine eigene mathematische Arbeit. Sie trug den Titel „Über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen“. Humboldts Thesen sind mittlerweile überholt, festzuhalten bleibt, dass er mit den unterschiedlichen Rechenhilfen vom antiken Abakus über asiatische Rechenbretter bis zum südamerikanischen Quipu vertraut war.

Chaim Słonimski, wie ihn 1845 die „Illustrirte Zeitung“ aus Leipzig sah. (Bild Bayerische StaatsBibliothek digital)

1828 hatte Alexander von Humboldt Charles Babbage getroffen – wir erzählten es im Blog. Der Computervisionär verbrachte damals mehrere Wochen in Berlin; er nahm auch am großen Kongress der Naturforscher teil, der in der preußischen Metropole stattfand. Wir dürfen annehmen, dass er Humboldt von seiner Differenzmaschine erzählte. Ende 1833 schickte er ihm sein volkswirtschaftliches Buch Über Maschinen und Fabrikwesen zu. In einem Dankschreiben vom März 1834 lobte Humboldt Babbages „erstaunliche Maschine“.

Zehn Jahre später lernte Alexander von Humboldt einen Rechenmaschinenerfinder kennen. Chaim Selig Słonimski wurde 1810 im ostpolnischen Białystok geboren. Er war Sohn eines Rabbis und erhielt eine traditionelle jüdische Erziehung; im Selbststudium erlernte er die Grundlagen von Mathematik und Astronomie sowie Fremdsprachen. In den 1830er-Jahren verfasste er wissenschaftliche Aufsätze und Bücher. 1838 zog er nach Warschau; 1842 heiratete er eine Tochter des Uhrmachers und Rechenmaschinenbauers Abraham Stern.

Sein Schwiegervater dürfte Słonimski zu eigenen Schöpfungen inspiriert haben. Er fertigte ein Gerät zum Addieren und Subtrahieren und eines für logarithmische Operationen an; außerdem studierte er den Aufbau von Rechentafeln. Dabei stieß er auf Gesetzmäßigkeiten, die ihn auf eine Maschine für die Multiplikation und Division brachten. Sie konnte sogar Quadratwurzeln ziehen. Sie enthielt keine komplexe Mechanik; im Inneren steckten acht dreh- und verschiebbare Zylinder, die außen viele kleine Ziffern trugen.

Słonimskis Rechenmaschine. (Bild Bayerische Staatsbibliothek digital)

Die Maschine maß 40 mal 33 mal 5 Zentimeter und wies neun Reihen mit kleinen Fenstern auf; dort erschienen die eingestellte Zahl und darüber das Zweifache, Dreifache usw. Bei der Multiplikation gab der Benutzer einen Faktor ein und suchte die Zwischenprodukte auf, die der zweite Faktor vorgab. Die Summe musste er unter Beachtung der Stellenverschiebung von Hand oder mit Słonimski Addierer ermitteln. Sein Multiplikations- und Divisionsgerät war also mehr Datenspeicher als Rechenapparat. Eine informative Beschreibung steht hier.

Im Sommer 1844 reiste Słonimski nach Berlin; am 8. August führte er seine Maschinen in der Akademie der Wissenschaften vor. Der Überlieferung nach besuchte er anschließend mehrmals Alexander von Humboldt. In seiner Funktion als Kammerherr von König Friedrich Wilhelm IV. vermittelte Humboldt eine Audienz beim Monarchen. Später soll es noch zu einem längeren Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Chaim Słonimski gekommen sein. Sicher ist, dass er eine Humboldt-Biografie in hebräischer Sprache schrieb; sie kam 1858 in Berlin heraus. Seit 1997 gibt es eine deutsche Fassung.

Alexander von Humboldt starb am 6. Mai 1859 in der preußischen Hauptstadt; Chaim Selig Słonimski überlebte ihn bis 1904. Unser Eingangsbild malte Julius Schrader; es zeigt den alten Humboldt vor den Bergen Südamerikas, die er einst erkundete. Schließen möchten wir mit dem bereits erwähnten Brief an Charles Babbage von 1834. Die Übersetzung aus dem Französischen stammt vom Berliner Humboldt-Forscher Kurt-Reinhard Biermann, der das Schreiben in London fand. Im Zitat geht um die – nie realisierte – Differenzmaschine:

„Sie beweist auf eine die Einbildungskraft beeindruckende Weise, daß der Erfindungsgeist des Menschen eine Macht ist, die von keiner zunächst unüberwindbar erscheinenden Schwierigkeit zurückweichen will. Ihre Maschine leistet mehr als rechnen, mehr als numerische Probleme lösen; sie liefert dem denkenden Wesen das Maß seiner schöpferischen Stärke.“

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