Als die Kamera digital wurde

Geschrieben am 11.12.2020 von

1975 verbreiteten sich die ersten Mikrocomputer, und ein Unternehmen namens Micro-Soft, damals noch mit Bindestrich, wurde gegründet. In jenem Jahr baute der junge Ingenieur Steven Sasson in der amerikanischen Firma Kodak eine Kamera, die Fotos ohne einen Film machte und digital abspeicherte. Vor 45 Jahren, am 12. Dezember 1975, nahm sie das erste Bild auf.     

Die Geschichte der Digitalfotografie ist lang und kompliziert. Der erste Versuch fand 1957 statt. Der Ingenieur Russell Kirsch arbeitete im amerikanischen Eichamt in Washington. Es besaß einen digitalen Scanner, auf den Kirsch ein Foto seines kleinen Sohns Walden legte. Die Daten wurden dem Computer SEAC zugeführt. Mehrere Scan-Durchgänge ergaben ein schönes Bild mit fünf Zentimetern Seitenlänge und 176 x 176 Pixeln.

Eine Serie von Digitalfotos entstand im Juli 1965, als die NASA-Sonde Mariner 4 am Planeten Mars vorbeiflog. Dabei nahm eine analoge elektronische Kamera 21 Bilder der Oberfläche auf. Sie wurden an Bord der Sonde in sechsstellige Dualzahlen umgesetzt und zur Erde gefunkt. Ein Foto umfasste 200 x 200 Pixel; die Übertragung dauerte jeweils mehrere Stunden. Das erste Mariner-Bild malten die Forscher der NASA nach den empfangenen Daten auf Papier – wir haben es im Blog geschildert.

Nicht volldigital, aber schon digitalisiert war 1957 das Foto von Walden Kirsch.

Eine wichtigste Erfindung zur digitalen Fotografie wurde 1969 gemacht. Im Oktober des Jahres entwarfen die Physiker Willard Boyle und George Smith in den amerikanischen Bell-Laboratorien die Charge Coupled Device oder CCD. Die Ladungsketten-Vorrichtung – das wäre die beste Übersetzung – speichert Lichtimpulse in Silizium-Kondensatoren, die in einer Reihe oder einem Gitter angeordnet sind. Nach dem Belichten werden die Kondensatoren nacheinander ausgelesen: So erhält man ein digitales Bild. Hier ist dazu ein Film.

Mit einiger Verspätung erschien die Erfindung im SPIEGEL; 2009 brachte sie Boyle und Smith den Nobelpreis ein. Schon in den frühen 1970er-Jahren kamen Bildaufnahmegeräte mit CCDs heraus. 1975 zierte ein solches das Cover der Zeitschrift Popular Electronics. Die Schlagzeile des Februar-Hefts lautete: „Bauen Sie die erste volltransistorisierte TV-Kamera“ Sie stammte vom kalifornischen Start-up Cromemco und hieß Cyclops wie die einäugigen Zyklopen aus der griechischen Sage. Sie ist oben in unserem Eingangsbild zu sehen (Foto Cromemco CC BY-SA 3.0 seitlich beschnitten).

Steve Sasson 2010 auf der Kölner Photokina (Foto Aljawad CC BY 3.0 unten beschnitten)

Die Kamera war mit Objektiv nur zwölf Zentimeter lang und kostete als Bausatz 55 Dollar; später bot Cromemco eine fertig montierte Version an. Die Cyclops benutzte statt einer CCD einen lichtempfindlichen Speicherchip und gab ein Digitalbild mit 32 x 32 Pixeln aus; jedes hatte 16 Graustufen. Einen Eindruck ihrer Leistung vermittelt ein Video; Bilder erscheinen bei Minute 3:50. Der Artikel der Popular Electronics (PDF-Seite 25) betonte den Einsatz als Fernsehkamera, wies jedoch auch auf den Anschluss an den Mikrocomputer Altair hin. Den hatte die Zeitschrift einen Monat vorher beschrieben.

Mit der Kombination Cyclops-Altair hätte man wahrscheinlich Screenshots erstellen und speichern können. Zu einem Fotoapparat gehört aber ein Mindestmaß an Mobilität. Den Ruhm, die erste digitale Kamera gebaut zu haben, erwarb deshalb ein junger Ingenieur aus New York. Der 1950 geborene Steven Sasson studierte Elektrotechnik und ging 1973 zum Film- und Kamerahersteller Kodak. Dort erhielt er im Dezember 1974 den Auftrag, den Nutzen von Halbleiter-Sensoren zu prüfen. Sasson kaufte bei der Chipfirma Fairchild zwei CCDs mit 100 x 100 Pixeln und machte sich an die Arbeit.

Die Kodak-Digitalkamera von 1975 (Foto brett jordan CC BY 2.0 seitlich beschnitten)

Unterstützt von drei Kollegen, stellte er ein Jahr später eine namenlose Kamera fertig. Sie enthielt neben der CCD, dem Objektiv und dem Akku zwölf Speicherchips mit insgesamt sechs Kilobyte und eine Magnetbandkassette für dreißig Digitalfotos. Zur Wiedergabe wurden die Daten mit einem Rechner in ein Fernsehbild mit 400 Zeilen verwandelt und einem TV-Empfänger zugeleitet. Das erste Bild nahm Sasson am 12. Dezember 1975 von einer Laborantin auf. Erhalten ist ein Foto von 1976, das einen Jungen mit Hund zeigt.

Steven Sasson schrieb einen internen Bericht und meldete 1977 ein Patent an, das 1978 gewährt wurde. Seine Kamera verschwand im Depot. Erst 2001 erinnerte sich die Kodak-Spitze an ihn und verlieh ihm die höchste Auszeichnung der Firma, den Eastman-Preis. 2010 erhielt Sasson von Präsident Barack Obama die Nationale Medaille für Technologie und Innovation. Die Firma Kodak meldete 2012 Insolvenz an, machte dann aber in reduzierter Form weiter. 2019 setzte sie 1,2 Milliarden Dollar um. Auf Digitalkameras werden wir in Zukunft sicher noch einmal zurückkommen.

Eine Digitalkamera im Patent von Steven Sasson; Nr. 20 ist die Magnetbandkassette.

 

 

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