Burroughs E101 – Computer mit Stecknadeln

Geschrieben am 06.12.2019 von

In den 1950er-Jahren waren Computer gewöhnlich so groß wie Kleiderschränke. Es gab aber auch kleinere Modelle. Die Maße eines Schreibtisches besaß die E101 der Firma Burroughs. Sie wurde im Dezember 1954 auf einer Computertagung in Philadelphia vorgestellt. Zu den Benutzern der E101 gehörte der belgische Astronom Georges Lemaitre, dem wir die Idee des Urknalls verdanken. 

In den 1950er-Jahren war die Rechentechnik bunt und vielfältig. Sie umfasste Rechenstäbe, Analogrechner, Addier-, Rechen- und Buchungsmaschinen, Bankkassen und klassische Lochkartentechnik, Relaisrechner und Elektronengehirne. Heute nennt man letztere Computer. In den Fünfzigern waren sie groß, teuer und eindrucksvoll. Sie standen in klimatisierten Räumen, zu denen wenige Experten Zutritt hatten, hin und wieder auch eine Expertin.

Doch schon Ende 1954 kündigte sich ein Wandel an. Am 8., 9. und 10. Dezember fand in Philadelphia die Eastern Joint Computer Conference statt. Das “Joint” hieß, dass sie von drei Ingenieurverbänden organisiert wurde. Das Thema lautete: Bau und Einsatz von kleinen Digitalrechnern. 1954 gab es weder Mini- noch Mikrocomputer. Klein war, was höchstens 150.000 Dollar kostete oder maximal zwanzig Kilowatt Strom benötigte. Als groß galten zum Beispiel Computer, die mehr als 10.000 Bit zu speichern vermochten.

Das Patentmodell der Burroughs-Buchungsmaschine Sensimatic von 1949. (Foto National Museum of American History, Smithsonian Institution)

Die Besucher der Tagung hörten achtzehn Vorträge. Einer betraf den schreibtischgroßen Rechner E101 der Burroughs Corporation. Die 1886 gegründete Firma saß in Detroit und war durch Addiermaschinen bekannt. Seit 1950 fertigte sie außerdem den Buchungsautomaten Sensimatic. Die E101 übernahm seine Tastatur und den Druckmechanismus; neu waren ein Trommelspeicher mit hundert Adressen und eine Programmiervorrichtung. Im Inneren des Computers operierten zwanzig Relais, 163 Röhren und 1.500 Dioden.

Programmiert wurde die E101 durch Nadeln. Dazu dienten längere Lochplatten. Jede Platte wies sechzehn Reihen Löcher auf, jede Reihe stand für einen Befehl. Die Reihen führten durch drei Felder, in die man mehrere Nadeln steckte. Diejenigen im ersten Feld legten eine Operation fest, in den benachbarten Feldern pickten sie eine oder zwei Ziffern heraus. Die zugehörige Zahl gab ein Register oder einen Speicherplatz an. Eine Lochplatte fasste also sechzehn Anweisungen, bis zu acht Platten konnten aneinandergesetzt werden.

Der erste Kleincomputer? Burroughs E101 mit Lochstreifenleser. Rechts erkennt man acht Lochplatten mit eingesteckten Nadeln. (Foto Burroughs Corporation)

Der Referent in Philadelphia war der Mathematiker Alex Orden. Er wurde 1916 in Rochester im Bundesstaat New York geboren und studierte zunächst Physik. Im Krieg arbeitete er an Annäherungszündern für Granaten. Nach Kriegsende promovierte er in Mathematik und ging dann zur Air Force. Im amerikanischen Eichamt wirkte Orden am Bau des Computers SEAC mit; danach beschäftigte er sich mit Optimierungsverfahren. 1952 wechselte er zur Firma Burroughs;  von 1958 bis 1987 lehrte er an der Universität von Chicago. Er starb 2008.

In der Diskussion nach dem Referat gab Alex Orden weitere Fakten zur E101 preis. Demnach beanspruchte eine Addition oder Subtraktion eine Zwanzigstelsekunde; Multiplikationen und Divisionen dauerten eine Viertelsekunde. Der Druck von zwölf Zeichen erfolgte in einer halben Sekunde. Der Kaufpreis der E101 betrug 32.500 Dollar; damit fiel sie in die Kategorie der kleinen Computer. Alternativ konnte der Benutzer 850 Dollar Monatsmiete entrichten. In den Handel kam die E101 erst 1955; sie soll kein großer Erfolg gewesen sein.

Burroughs-Computerspezialist Alex Orden, aufgenommen 2007 – er war damals 91 Jahre alt.

Ein Exemplar fand den Weg nach Europa. 1958 erwarb die Katholische Universität Löwen in Belgien eine E101 für Professor Georges Lemaître. Es war der erste Computer der Hochschule. Lemaître wurde 1896 in Charleroi geboren und nahm am Ersten Weltkrieg teil. Später studierte er Mathematik und Physik und machte 1920 seinen Doktor. 1923 wurde er zum Priester geweiht. Er übernahm keine Gemeinde, sondern widmete sein Leben der Wissenschaft. Ab 1925 lehrte er in Löwen Physik und Astronomie.

1927 formulierte Georges Lemaître eine Gleichung, die die Expansion des Universums beschrieb: je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, desto schneller bewegt sie sich weg. Sein Artikel stand aber nur in einer kaum gelesenen französischsprachigen Fachzeitschrift; den Ruhm schöpfte der amerikanische Astronom Edwin Hubble ab, der 1929 eine ähnliche These veröffentlichte. Erst seit einem Jahr spricht die Fachwelt nicht mehr vom Hubble-, sondern vom Hubble-Lemaître-Gesetz.

Eine E101 stellt in der Nacht der Präsidentschaftswahl 1956 Hochrechnungen an; der Ort ist die Redaktion der „Detroit Times“. (Foto Computer History Museum)

1931 schrieb Lemaître vom „l’atome primitif“, aus dem der gesamte Kosmos hervorging. Das US-Magazin Popular Science schilderte sein Ur-Atom ein Jahr später unter der Überschrift „Explosion eines gigantischen Atoms schuf unser Universum“. Seit 1949 bürgerte sich für diese Theorie der Name „Big Bang“ ein, auf Deutsch der Urknall. Georges Lemaître erlebte 1965 noch mit, dass das Konzept des explodierenden Universums durch Radioastronomen bestätigt wurde. 1966 starb er in Löwen.

In den 1930er-Jahren erforschte Lemaître Eigenschaften der kosmischen Strahlung. Bei seiner Analyse griff er auf einen Analogrechner zurück, den Differentialanalysator des Amerikaners Vannevar Bush. In der Universität benutzte er meist Rechenmaschinen aus Deutschland. Überliefert ist ein Foto, das ihn neben der Burroughs E101 zeigt; die Maschine bedient Mademoiselle Andrée Bartholomé. Den Computer gibt es noch; unser Eingangsbild (© Erfgoedcel Leuven)  zeigt ihn in einer Ausstellung im Jahr 2012.

Georges Lemaître, der Vater des Urknalls

Schließen möchten wir in Amerika und mit der Firma Burroughs. Auf die E101 folgten die Versionen E102 und E103. Im Jahr 1956 schluckte Burroughs die ElectroData Corporation in Kalifornien; sie bot Röhrenrechner namens Datatron an. Burroughs machte daraus die Burroughs 205. Auch die Nachfolgerin Burroughs 220 verwendete noch Elektronenröhren. Wirklich neu war 1962 der Computer Burroughs 5000, doch der ist ein Thema für einen zukünftigen Blogbeitrag. Wir bedanken uns bei der Erfgoedcel der Stadt Löwen für die Erlaubnis, das Foto der E101 nutzen zu können.

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