Computer in Brasilien
Geschrieben am 06.09.2022 von HNF
Der 7. September ist der 200. Geburtstag von Brasilien. Am 7. September 1822 erklärte Prinzregent Pedro die Unabhängigkeit. Lochkartentechnik gab es seit den 1910er-Jahren im Lande, Elektronenrechner kamen ab 1957 aus den Vereinigten Staaten. 1960 lief der erste in Brasilien gebaute Computer „Lourinha“; 1972 entstand der Minicomputer „Hässliches Entlein“. 1974 wurde die Computerfirma Cobra gegründet.
Herzlichen Glückwunsch! Am 7. September 1822 verkündete der junge Regent Pedro die Unabhängigkeit des 1815 gegründeten Königreichs Brasilien und löste es von Portugal. Das südamerikanische Land wird also zweihundert Jahre alt. Pedro regierte bis 1831 als Kaiser, Nachfolger war sein Sohn Pedro II. Er interessierte sich sehr für die Wissenschaft und die Technik; 1881 gab es in Rio de Janeiro die ersten Telefone. 1889 wurde Pedro II. aber gestürzt und das Kaiserreich zur Republik.
1917 brach in Brasilien die Ära der Datenverarbeitung an. In Rio de Janeiro nahm die Firma Serviços Hollerith die Arbeit auf; sie importierte und vermietete Lochkartenmaschinen der Computing-Tabulating-Recording Company CTR. Wir kennen sie besser unter dem Namen, den sie 1924 annahm – IBM. Gründer der Serviços Hollerith war der 1891 in der Hafenstadt Santos geborene Valentim Bouças (ausgesprochen „Busch“). Mehr zu ihm bringt dieser Video-Vortrag mit englischen Untertiteln. Ab Minute 14:40 sehen wir Filmclips mit Bouças.
Der dynamische Manager machte den IBM-Ableger zu einem ertragreichen Unternehmen; bis heute heißen im brasilianischen Portugiesisch Lohnstreifen „holerites“. Valentim Bouças verstand sich stets gut mit der Regierung und war selbst als politischer Berater tätig. 1939 eröffnete IBM-Chef Thomas Watson die erste IBM-Fabrik im Lande. 1963 erhielt die neue Hauptstadt Brasilia – sie ist im Eingangsbild zu sehen – ein IBM-Büro. 1964 beschäftigte Big Blue in Brasilien 1.230 Menschen. Valentim Bouças starb im selben Jahr; ein Nachruf stand in der New York Times.
Die ersten Elektronenrechner in Brasilien wurden aus den USA eingeführt. 1957 schaffte die Regierung des Bundesstaats São Paulo eine Univac 120 an, die mit Lochkarten operierte. 1959 gelangte ein richtiger Computer ins Land, eine IBM RAMAC für eine Firma in São Paulo. 1960 half eine Univac 1105 in Rio bei der Volkszählung, und eine Burroughs 205 lief in der Päpstlichen Katholischen Universität der Stadt. Zur Einweihung erschienen Staatspräsident Juscelino Kubitschek und Kardinal Montini aus dem Vatikan, der spätere Papst Paul VI.
Der erste rein brasilianische Computer war die Lourinha, zu Deutsch Blondine. Wir wissen nicht die Herkunft des Namens, sondern nur, dass der Rechner zwischen 1958 und 1960 von Studenten der Armeehochschule IME entwickelt wurde; möglicherweise verband er digitale und analoge Bauelemente. Am Projekt wirkte der Computerpionier Helmut Schreyer mit, der am IME lehrte. Er gehörte zum Freundeskreis von Konrad Zuse und emigrierte 1949 nach Rio de Janeiro. Einige Einzelheiten zum Computer werden hier und hier verraten. Vielleicht können uns Leser, die Portugiesisch verstehen, mehr sagen.
Hundert Prozent brasilianisch war ebenso der Transistorrechner Zezinho. Der Name kommt aus dem Disney-Universum. Zezinho ist der mittlere der drei Neffen von Donald Duck und entspricht unserem Trick. Das Gerät entstand 1961 in São José dos Campos östlich von São Paulo; Urheber waren vier Studenten der ITA, der technischen Hochschule der Luftwaffe. Die Transistoren steckten in einem zwei Meter breiten und anderthalb Meter hohen Schaltbrett. Zezinho diente vor allem zu Lehrzwecken und wurde bald wieder demontiert. Dieses Video zeigt einen seiner Schöpfer, Alfred Volkmer.
Von der Familie Duck ist es ein kleiner Schritt zum hässlichen Entlein. So hieß ein Märchen von Hans Christian Andersen wie auch ein Minicomputer. Patinho Feio, wie sein Name auf Portugiesisch lautete, wurde 1971 und 1972 in der Polytechnischen Schule der Universität von São Paulo gebaut; Projektleiter war Professor Helio Guerra Vieira. Das Entchen rechnete mit Acht-Bit-Adressen und besaß einen Arbeitsspeicher von acht Kilobyte. Heute gilt es als erster Computer made in Brazil; erhalten blieben technische Schriften und einige Fotos.
Am 18. Juli 1974 erfolgte in Rio de Janeiro die Gründung der Firma Cobra alias Computadores e Sistemas Brasileiros. Dabei fanden die Marine, eine staatliche Bank und der englische Computerherstellers Ferranti zusammen. Cobra war der erste Computerbauer Brasiliens. 1976 entstand in São Paulo die Prológica Indústria e Comércio de Microcomputadores, kurz Prológica; sie konzentrierte sich auf kleine Systeme. 1981 startete in der gleichen Stadt die Firma Microdigital Eletronica. Auf diese Weise etablierte sich eine Computerbranche.
Oft bauten brasilianische Hersteller ausländische Computer unter Lizenz nach. So fertigte die Firma Labo Eletrônica in São Paulo von 1978 bis 1989 Nixdorf-Systeme. Wenn es sein musste, erließ die Regierung Importbeschränkungen. Wir überspringen aber die große Politik und erinnern nur an Heinz Nixdorfs Engagement im Lande. Ein letzter Hinweis gilt dem Computermuseum in Vitória; das ist ein Video dazu. Die Stadt liegt nordöstlich von Rio am Atlantik. Eine ältere Sammlung in São Paulo wurde leider geschlossen und eingemottet. (Zur Lektüre ggf. den Übersetzer von DeepL aktivieren.)