Das Elektronengehirn kommt

Geschrieben am 25.03.2015 von

Wer war der erste Elektronenrechner in Deutschland? Im Januar 1951 lief in Kiel der elektronische Multiplizierer von Walter Sprick, der später den jungen Heinz Nixdorf förderte; sein Gerät enthielt 200 Vakuumröhren. Im Herbst des gleichen Jahres war aber in Berlin ein schrankgroßer Spezialcomputer zu sehen, der künstliche Intelligenz besaß: Er besiegte Menschen in einem Denkspiel.

Vom 3. Mai bis 30. September 1951 sah Großbritannien das Festival of Britain, eine Kette von Ausstellungen und Veranstaltungen, die nach der kargen Nachkriegszeit eine neue Ära der Prosperität verhießen. Die zugehörige Wissenschaftsschau fand im Science Museum in London statt, und dort war ein Computer der Firma Ferranti aufgebaut, die in Manchester saß. Er enthielt 480 Elektronenröhren – Transistoren gab es schon, doch  noch nicht in Rechnern – und ein festverdrahtetes Programm für das Spiel Nim.

Hier nehmen zwei Spieler abwechselnd Streichhölzer aus einem von mehreren Haufen weg. Sieger ist derjenige, der das oder die letzten Hölzchen entfernt. Es gibt auch eine Nim-Version, in welcher der Spieler, der das letzte Streichholz zieht, als Verlierer gilt. Schon bei der Weltausstellung 1939/40 in New York konnten die Besucher Nim gegen einen Relaisrechner namens Nimatron spielen. Der Nim-Automat des Festival of Britain trug den aus der Bibel bekannten Namen Nimrod.

Nach Ende der Feiern wurde Nimrod in ein Flugzeug verladen und nach Berlin gebracht. Hier stand er ab dem 6. Oktober 1951 drei Wochen lang auf dem Messegelände in Charlottenburg, im britischen Pavillon der Deutschen Industrieausstellung. Auf unserem Foto sind gut das Schild mit der Aufschrift ELEKTRONENGEHIRN und die Menschentraube zu erkennen, sie sich vor dem Computer drängelte. Weitere Details zu Nimrod finden sich in einer informativen Internetseite.

Der schlaue Elektronenrechner stand natürlich nicht herum, sondern kämpfte gegen Besucher, die den Mut hatten, gegen ihn anzutreten. Da Nim ein mathematisches Spiel mit fest umrissenen Gewinnstrategien ist, gewann Nimrod die meisten Parteien, und eines seiner Opfer war Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (1897-1977) – der ebenfalls anwesende Bundeskanzler Adenauer hielt sich klugerweise zurück. Erhard ließ sich auf drei Spiele ein, von denen er alle verlor.

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Im obigen Foto sitzt rechts neben dem Minister der britische Stadtkommandant, General Geoffrey Bourne, und links mit Brille Dietrich Prinz, der Software-Chef von Ferranti. Der gebürtige Deutsche studierte in Berlin und emigrierte, weil er Jude war, in den 1930er Jahren nach England. Er gehörte in Manchester zum Freundeskreis von Alan Turing und schrieb für den Ferranti-Computer Mark I das erste Schachprogramm der Welt, das allerdings auf zwei Züge beschränkt war. Später arbeitete er auch in Italien.

Nach seinem Auftritt in Berlin wurde Nimrod in der kanadischen Stadt Toronto gezeigt, danach verliert sich seine Spur. Am 4. Juni 1952 ging in Göttingen der erste deutsche Elektronenrechner in Betrieb, die von Heinz Billing konstruierte G1. Nachzutragen wäre noch, dass Nimrod den Hintergrund des ersten Fotos bildete, das weibliche Schönheit mit Computertechnik verband und das sittlich gefestigte Leser – wir sind in den frühen 1950er Jahren – hier aufrufen können. (Fotos: HNF)

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