Der erste Siemens-Computer

Geschrieben am 26.04.2019 von

Am 26. April 1959 eröffnete in Hannover die jährliche Industriemesse. Auf dem Stand der Siemens & Halske AG war der Digitalrechner Siemens 2002 zu sehen, außerdem viele Peripheriegeräte. Der 2002 zählte zu den frühesten deutschen Transistorcomputern; 42 Systeme wurden insgesamt gebaut. Mit dem Rechner begann ein jahrelanges Engagement des Münchner Konzerns im Markt der Mainframes.  

Vor sechzig Jahren war die Industrieschau in Hannover die Messe der Superlative, die ins Wunderland der Technik führte. Das meinte jedenfalls die Wochenschau, die gleich mit dem Besuch der Messe begann. Ab Minute 1:35 sehen wir einen der wenigen Computer, eine amerikanische Univac UCT. Sie war damals für die Strumpfwerke Opal im holsteinischen Reinfeld tätig.

Es gab es aber auch einen deutscher Digitalrechner. Der grandiose Stand der Siemens & Halske AG präsentierte das System Siemens 2002 mit umfangreicher Peripherie. Dazu gehörte schon ein Fernsehmonitor. Auf den Bildschirm zeichnete ein Elektronenstrahl Linien und Kurven. Die Steuerung erfolgte mit analoger Technik; die Informationen dazu wurden mit einen Digital-Analog-Wandler aus den digitalen Daten des Computers gewonnen. Es fehlten noch die Magnetbandlaufwerke; die brachte Siemens erst 1960 heraus.

Die Siemens 2002 mit ihrer Peripherie auf der Hannover Messe 1959. (Foto Siemens AG)

Auf dem Foto oben erkennt man hinter dem Bedienpult die Schränke für das Rechen- und Steuerwerk und für den Arbeitsspeicher. Die anderen Schränke dürften weitere Speicher enthalten haben – Siemens hatte eine Magnettrommel im Angebot. Das kleine Pult war der Lochstreifenleser. Mit der 2002 stieg der Konzern in die zweite Computergeneration ein. Ihre Maschinen rechneten mit Transistoren, die der ersten mit Röhren. In den 1950er-Jahren liefen noch Rechner mit Relais, die aber nie eine Generation bildeten.

Die Entwicklung der Siemens 2002 startete im März 1954. Projektleiter war der Physiker Hans Kaufmann, es wirkten außerdem die Ingenieure Hans und Robert Piloty von der TH München mit. Das Vater-Sohn-Gespann baute parallel dazu am Röhrenrechner PERM der Hochschule mit. Siemens erforschte gründlich die Technik der Transistoren; 1956 lag der Prototyp des Computers vor. Er wurde lange getestet; im März 1958 bestellte die Deutsche Forschungsgemeinschaft drei Systeme für Unis in Aachen, Tübingen und West-Berlin.

Nach der Präsentation 1959 in Hannover wurden die Maschinen installiert. Weitere Bestellungen folgten, sogar aus der Privatindustrie. Eine Siemens 2002 ging noch im selben Jahr an den Flugzeug- und Hubschrauberfabrikanten Ludwig Bölkow in Ottobrunn. Der Kaufpreis lag zwischen anderthalb bis zweieinhalb Millionen DM. Bis zur Einstellung der Produktion 1966 wurden 42 Exemplare ausgeliefert, ein gutes Dutzend nutzte allerdings der Siemens-Konzern selbst.

Der Schrank eines 2002-Systems im HNF. Der kleine Rahmen direkt hinter der Scheibe enthält einen Magnetkernspeicher. (Foto HNF)

Die Leistungen der Siemens 2002 entsprachen der im Blog behandelten Electrologica. Eine Addition brauchte 90 Mikrosekunden, eine Multiplikation eine Millisekunde. Fließkomma-Operationen waren langsamer. Der Arbeitsspeicher fasste in der Grundversion zweitausend Worte zu je 52 Bit; auf den Trommelspeicher passten 10.000 Worte. Der Rechner akzeptierte Software in den Siemens-Sprachen PROSA und MAGNUS und später in der höheren Programmiersprache ALGOL.

Mit der Siemens 2002 begann ein fünfzig Jahre andauerndes Engagement der Firma in der Computerfertigung. Die Beteiligung an der Siemens Nixdorf Informationssysteme AG und an Fujitsu Siemens Computers zählen wir dabei mit. Heute kann man einige 2002-Systeme in Museen bewundern, auch das allererste aus der RTWH Aachen. Der Bedientisch, zwei Schränke, ein Bandlaufwerk und die Schreibmaschine stehen – siehe Eingangsbild – im ZCOM in Hoyerswerda.

Zu erwähnen ist, dass vor sechzig Jahren noch ein zweiter Transistorrechner in der Bundesrepublik erschien, die ER 56 der Standard Elektrik Lorenz AG. Von ihr wurden nur wenige Systeme gebaut; überliefert sind Installationen in Stuttgart, Karlsruhe, Köln und Bonn. Ein fünftes Exemplar erreichte Südamerika. Es war 1962 der erste „computador“ einer chilenischen Universität. Wer Spanisch kann, findet hier Details – Achtung, dicke Datei!

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6 Kommentare auf “Der erste Siemens-Computer”

  1. Interessanter Beitrag. Ich bezweifele allerdings stark, dass es sich bei dem Rechner, der in der Wochenschau gezeigt wird, wirklich um eine UCT II handelt. Die UCT II wurde von Univac erst 1961 angekündigt und 1962 das erste mal ausgeliefert. Die Wochenschau ist aber von 1959. Es war eine Anlage, die der IBM 1401 Paroli bieten sollte.

    PS: Das erste Wort im Artikel muss „vor“ statt „von“ heißen.

    1. HNF sagt:

      Besten Dank! Ist korrigiert.

  2. Norbert Ryska sagt:

    Während der Siemens-Rechner 2002 immerhin 42mal gebaut wurde, kamen die ER 56-Rechner von SEL nur auf einstellige Verkaufszahlen: Exemplare wurden verkauft an die Fa. Quelle im Jahr 1956, fünf Hochschulinstitute Stuttgart, Karlsruhe, Köln, Bonn und eine Universität in Chile, an die Regierung von Taiwan und das Posttechnisches Zentralamt in Nürnberg. Die Projekte „ER 56 für Air France Buchungssystem“ (mit 20 Trommeln) sowie die Großanwendung für das Versandhaus Schwab wurden aus finanziellen Gründen storniert.
    EL auf erheblich kleinere Verkaufszahlen: Verkauft wurden Systeme an Exemplstrwurden

  3. C. Lütkebohle sagt:

    Eine Siemens 2002 stand auch bei der Firma Vossen in Gütersloh.

    1. Interessant. Wissen Sie zufällig ungefähr das Jahr, wann die Maschine installiert wurde und für welchen Zweck die Firma Vossen sie eingesetzt hat?

      1. Carsten Lütkebohle sagt:

        Die Siemens 2002 muss um das Jahr 1959-61 installiert worden sein. Leider kann ich meinen Großvater Rudolf Lütkebohle, der die Anlage mit installiert und betrieben hat nicht mehr fragen.
        Auf der Maschine wurden hauptsächlich Lohn/Gehaltsabrechnungen gefahren.

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