Der Junior von IBM

Geschrieben am 31.10.2023 von

Es ist kaum zu glauben aber wahr: IBM baute einmal Heimcomputer. Am 1. November 1983 stellte sie in New York den PCjr vor, in den Handel kam er im März 1984. Er war für Spiele optimiert, verkaufte sich jedoch schlecht. Auch Preissenkungen konnten ihn nicht mehr retten, im März 1985 endete die Produktion des Rechners.

1983 war die Welt noch in Ordnung. Das Novemberheft der Zeitschrift BYTE widmete über zweihundert seiner 720 Seiten einem einzigen Computermodell, dem 1981 erschienenen IBM PC. Eine Artikelüberschrift lautete: „Können sich 1.000.000 IBM-PC-User irren?“ Big Blue dominierte nicht nur den Markt der großen, sondern auch den der kleineren Rechner und ging daran, das unterste Marktsegment zu erobern.

Der Codename lautete Peanut; als er am 1. November 1983 in New York enthüllt wurde, hieß er PCjr, gesprochen „PC Junior“. Die Journalisten und Händler, die in die IBM-Kunstgalerie an der Madison Avenue strömten, sahen einen Computer, der dem IBM PC ähnelte. Neu war die frei bewegliche Bedieneinheit, die per Infrarotlicht mit der Zentraleinheit kommunizierte. Sie trug ein „Chiclet Keyboard“, zu Deutsch Gummitastatur, und stammte von einem externen Zulieferer, der Advanced Input Devices Inc. im US-Bundesstaat Idaho.

PCjr mit der ursprünglichen Tastatur (Foto Computer History Museum)

Den IBM PCjr gab es in zwei Versionen. Beide enthielten den schon vom IBM PC bekannten Mikroprozessor Intel 8088 und liefen mit einer Variante des Betriebssystems PC-DOS. Der preiswerte Typ kostete 669 Dollar und besaß einen Arbeitsspeicher von 64 Kilobyte; dazu kam ein Speichermodul mit der Sprache BASIC. Für den teureren Bruder zahlte man 1.269 Dollar; er brachte 128 Kilobyte freien Speicher und ein Diskettenlaufwerk mit. Dank einer Menge Kunststoffteile wog der Computer weniger als vier Kilogramm.

Die Grafikanzeigen reichten von 160 x 200 bis 640 x 200 Pixel; das Grundmodell zeigte maximal vier, das teure bis zu sechzehn Farben an. Der PCjr besaß zudem ein Soundsystem, das auf einem Texas-Instruments-Chip basierte. IBM bot gegen Aufpreis Einsteckmodule mit Spielen und Büroprogrammen an; auch weitere Hardware wie der Joystick wurde separat abgerechnet. Wie ein TV-Spot zeigt, ließ sich der Computer an den heimischen Fernseher anschließen. Ein etwas längerer Lehrfilm versetzte ihn in die Welt von Charles Dickens.

Die Zeichen des Keyboards saßen nicht auf den Tasten, sondern darüber. (Foto Jason Scott CC BY 2.0 seitlich beschnitten)

Die Fachpresse nahm den PCjr freundlich auf, online sind die Artikel von Popular Science, Compute! und BYTE. In der Bundesrepublik berichtete die Zeitschrift Happy Computer; sie besprach auch das PCjr-Spiel ScubaVenture. Kritisch sah der Redakteur die Tastatur: „Sie hat nur entfernte Ähnlichkeit mit einer Schreibmaschinentastatur und ist sehr ermüdend, wenn man sie länger benutzen will.“ Wer dennoch den Junior erwerben wollte, musste ihn direkt importieren. Die deutschen IBM-Händler nahmen ihn nicht in ihr Angebot auf.

In den USA startete der Verkauf des PCjr im März 1984. Er entpuppte sich als Ladenhüter; kritisiert wurden der Preis, die Größe der Arbeitsspeicher und das Keyboard. Auch gab es Probleme mit der Kompatibilität. Bei anspruchsvoller Büro-Software, die auf dem IBM PC funktionierte, streikte der PCjr. Darüber hinaus stagnierte der Heimcomputermarkt, und im Vergleich zu dem im Januar erschienenen Apple Macintosh sah der neue IBM recht alt aus. Bis zum Mai hatte IBM erst 10.000 Systeme abgesetzt.

Ein Blick ins Innere des IBM-Heimcomputers

Im Juni senkte das Unternehmen die Preise der beiden Versionen auf 599 und 999 Dollar, im Juli führte sie eine neue  Tastatur ein, die kostenlos gegen die frühere eingetauscht wurde. Durch weitere Ermäßigungen und eine millionenteure Werbekampagne – das ist ein Spot daraus – kam der Verkauf in Schwung. Anfang 1985 hatten 275.000 Junioren einen Abnehmer gefunden. Nach Auslaufen der Sonderangebote brach der Verkauf jedoch wieder ein. Schließlich blieb IBM nur noch eine Maßnahme: Am 19. März 1985 endete die Produktion des PCjr. Insgesamt entstanden wohl eine halbe Million Stück.

Big Blue konnte die Verluste wegstecken: 1984 machte der Hersteller einen Umsatz von 46 Milliarden Dollar. Die Blamage ließ sich aber nicht leugnen; ebenso schlecht schnitten die Marktforscher ab, die dem PCjr eine glänzende Zukunft prophezeit hatten. In den 1990er-Jahren kehrte IBM mit den Typen PS/1 und Aptiva in den Heimcomputermarkt zurück, 2005 verkaufte IBM die gesamte PC-Sparte nach China. Ein PCjr und andere IBM-Hardware blieben im Nationalmuseum für amerikanische Geschichte in Washington; der Junior ist oben in unserem Eingangsbild zu sehen (Foto Smithsonian Institution).

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