Der Vater der Computerkristalle

Geschrieben am 19.08.2016 von

Die Grundlage der heutigen Mikroelektronik bildet das chemische Element Silizium. Die Chips in Computern, Handys und Smartphones sind hochreine Silizium-Einkristalle. Sie tragen auf ihrer Oberfläche winzige elektronische Bauteile, die die nötigen Schaltkreise liefern. Die Kristalle werden mit einem Verfahren erzeugt, das der Chemiker und Metallforscher Jan Czochralski vor 100 Jahren in der Firma AEG erfand.

Als Konrad Zuse im Jahr 1941 seine Z3 konstruierte, wandte er sich an die Post. Dort gab es Relais‘ aus der Telefonvermittlung, die er zum ersten Computer der Welt verband. Nach 1945 kamen die Elektronengehirne. Sie enthielten Vakuumröhren und später Transistoren. Auch hier musste man viele Leitungen legen, um aus den Bauelementen eine funktionierende Rechenanlage zu machen. In den 1960er-Jahren änderte sich das alles.

Wurden die Transistoren des Rechners zuvor separat montiert, fusionierten nun Gruppen von ihnen zu integrierten Schaltungen, den ICs. Die Bestandteile einer solchen Schaltung sitzen auf rechteckigen Stückchen Silizium, den Chips oder Mikrochips. Nach dem Mooreschen Gesetz verdoppelte sich jährlich die Zahl der Komponenten auf einem Chip. Mittlerweile geschieht die Verdoppelung etwa alle 18 Monate. Schon 1971 legte die kalifornische Firma Intel den Mikroprozessor vor, der die Zentraleinheit eines Computers auf dem Siliziumplättchen unterbrachte.

Integrierte Schaltungen benötigen eine ganz besondere Ausprägung des Elements, nämlich hochreines und monokristallines Silizium. Man spricht auch von einem Silizium-Einkristall. Wie der Name sagt, hat es eine absolut regelmäßige Kristallstruktur.  Auf eine Milliarde Siliziumatome im Kristall kommt höchstens ein Fremdatom. Diese Substanz gibt es nicht in der Natur, sie muss technisch erzeugt werden. Und das bringt uns zum Czochralski-Verfahren und zu seinem Erfinder.

Jan Czochralski um 1910

Jan Czochralski um 1910

Jan Czochralski wurde am 23. Oktober 1885 in Exin geboren, ziemlich genau zwischen Berlin und Warschau. Zu jener Zeit gehörte die Kleinstadt zur preußischen Provinz Posen, heute heißt sie Kcynia und liegt in Polen. Jan war das achte Kind eines Handwerkers. Er absolvierte das örtliche Lehrerseminar, arbeitete dann aber in einer Drogerie in seiner Heimatprovinz und ab 1904 in einer Apotheke in Altglienicke. Das war damals noch ein Vorort von Berlin. Parallel dazu studierte er Chemie.

1906 wechselte Czochralski zu einer Chemiefabrik und 1908 ins Kabelwerk Oberspree. Das saß in Oberschöneweide – seit 1920 ein Teil Berlins – am Nordufer der Spree und gehörte zum AEG-Konzern. 1910 erhielt Jan Czochralski das Diplom als Chemie-Ingenieur. Er übernahm die Leitung des Metall-Labors und veröffentlichte von 1913 an eine Fülle wissenschaftlicher Aufsätze und zwei Fachbücher. Da seine Arbeit kriegswichtig war, blieb ihm im 1. Weltkrieg der Dienst an der Front erspart.

Im Sommer 1916 untersuchte Czochralski die Kristallisierung von Zinn. Dabei stellte er einen Tiegel mit geschmolzenem Zinn zum Abkühlen beiseite – das Metall schmilzt bei 231,9 Grad – und notierte etwas im Laborjournal. Versehentlich tauchte er seine Feder nicht ins Tintenfass, sondern in den Zinn-Tiegel. Beim schnellen Herausziehen der Feder sah er, dass an der Spitze ein dünner Metallfaden hing. Er bestand aus Zinn und hatte sich durch Ablagern von Atomen an die Zinnschmelze gebildet, die im Schlitz der Feder verblieben war.

Czochralskis Messvorrichtung von 1916: das Glasfläschchen M (Fig. 2) zieht einen Kristall aus der Schmelze

Czochralskis Messvorrichtung von 1916: das Glasfläschchen M (Fig. 2) zieht einen Kristall aus der Schmelze

Bei seiner Zufallsentdeckung hatte Jan Czochralski das erste Einkristall erzeugt, was ihm schnell klar wurde. In seinem Labor baute er aber nur eine Versuchsanordnung auf, um die Geschwindigkeit der Kristallisation von Zinn, Blei und Zink zu messen. Die Resultate kleidete er in einen Text, der am 19. August 1916 bei der „Zeitschrift für physikalische Chemie“ einging. Er erschien im Februar 1917 in Druck. Bibliographisch verzeichnet wurde er allerdings im Jahrgang 1918.

Nach seinem Fund widmete sich Czochralski anderen Problemen. 1917 verließ er die AEG und nahm eine Tätigkeit in Frankfurt am Main auf. Hier leitete er das Forschungslabor der Metallgesellschaft AG. Zu Wohlstand verhalf ihm ein Patent für eine Blei-Legierung, das Bahnmetall. Es eignete sich hervorragend für Radlager in Loks, Waggons und Straßenbahnen und kam ohne das teure Zinn aus. 1928 verließ der Chemiker Deutschland und übernahm den Lehrstuhl für Metallurgie und Metallkunde an der Technischen Universität Warschau.

Schon vor 1939 musste Jan Czochralski gegen Vorwürfe angehen, dass er kein echter Pole wäre. Während der deutschen Besatzung konnte er mit Einschränkungen seine Arbeit fortsetzen; zugleich unterstützte er die polnische Widerstandbewegung. 1945 wurde er dennoch der Kollaboration angeklagt und vier Monate lang inhaftiert. Nach der Freilassung kehrte Czochralski in seinen Geburtsort Kcynia zurück. Hier betrieb er eine Firma für Kosmetik- und Drogeriewaren. Er starb am 22. April 1953.

Prinzipienskizze des Czochralski-Verfahrens

Prinzipienskizze des Czochralski-Verfahrens

Was wurde nun aus seiner Entdeckung? Bereits 1918 wies der Chemieprofessor Hans Joachim von Wartenberg auf die Möglichkeit hin, Czochralskis Messverfahren auch zur Züchtung von Kristallen zu nutzen. In der Folgezeit etablierte sich genau diese Technik in der internationalen Metallforschung. Sie war als Czochralski method bekannt. In den späten 1940er-Jahren benutzte sie der amerikanische Chemiker Gordon Teal, um Einkristalle aus Germanium und Silizium zu erzeugen.

Teal arbeitete in den berühmten Bell Labs, dem Forschungsinstitut der Telefongesellschaft AT & T. Seine Technik kam zur rechten Zeit, um die Abteilung für Transistorentwicklung zu versorgen. Die Bell-Labs-Forscher William Shockley, John Bardeen und Walter Brattain hatten 1947 entdeckt, dass sich mit Germanium-Kristallen schwache Ströme verstärken lassen. Damit war der Transistor geboren. 1953 ging Gordon Teal nach Dallas zur Firma Texas Instruments. Hier fertigte er 1954 den ersten Silizium-Transistor an und startete ein neues Zeitalter der Elektronik.

Das Material für Transistoren und Chips stammt fast ausschließlich aus Anlagen, die mit dem Czochralski-Verfahren arbeiteten. Gelegentlich trifft man auch die Bezeichnung Tiegelziehverfahren  Dabei wird unregelmäßiges polykristallines Silizium geschmolzen und ein „Keimling“ eingeführt. Bei dem langsamen Hochziehen und gleichzeitigen Rotieren des Kristalls steigt eine längliche glühende Struktur aus der Schmelze, siehe Eingangsbild. Das Endresultat ist das hochreine Silizium-Einkristall. Es kann allerdings noch durch Zugabe anderer Elemente „dotiert“ werden.

Das Endprodukt: das Silizium-Einkristall (Foto Siemens)

Das Endprodukt: das Silizium-Einkristall (Foto Siemens)

Nach der Abkühlung wird die Siliziumsäule in dünne Scheiben geschnitten, den Wafern. Sie dienen als Ausgangsmaterial für die Chipfertigung, die wir hier überspringen möchten. Beim aktuellen Stand der Technik liefern Firmen wie die Münchner Siltronic AG Silizium-Einkristalle mit 30 cm Durchmesser und zwei Metern Länge. Als nächster Schritt werden Kristalle mit 45 cm angestrebt. Hierfür existiert ein Forschungsverbund, das Global 450 Consortium oder G450C.

Im 21. Jahrhundert erschienen mehrere Veröffentlichungen zu Czochralski in deutscher Sprache. 2003 brachte die Zeitschrift „Angewandte Chemie“ einen langen Artikel über ihn und sein Verfahren. 2013 erschienen ein Aufsatz der Historikerin Katrin Steffen wie auch eine Kurzvita, die seine Heimatstadt zusammenstellte. Ein Dokumentarfilm über Jan Czochralski von 2014 liegt nur auf Polnisch vor. Viele Fotos bringt aber die englische Online-Ausstellung der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

Das Foto unten zeigt den Geburtsort unseres Verfahrens, das Gebäude des früheren Metall-Labors der AEG. Es ist heute ein Teil der Berliner Hochschule für Technik und Wirschaft.

Foto: HTW Berlin       Eingangsbild: Qwazzy, CC BY-SA 3.0)

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

7 Kommentare auf “Der Vater der Computerkristalle”

  1. Pawel Tomaszewski sagt:

    Thank you for your interesting paper on Prof. Jan Czochralski, Polish chemist and metallurgist, working in Berlin, Frankfurt on Main, Germany, and in Warsaw, Poland.
    There is also a biographical book „Jan Czochralski restored“ published in English in 2013 (300 pages of documentation): ISBN 978-83-7432-945-3.

  2. Adam Gadomski sagt:

    Lieber Ralf, wo weisst Du denn her dass Jan erhielt sein Diplom als Chemie-Ingenieur in 1910 (du meintest in B.-Charlottenburg TU oder wo…)?
    Fuer Deine nette Antwort waere ich Dir sehr danbar.
    Mit freundlichn Gruessen, Adam.

    1. HNF sagt:

      Hallo Adam, diese Angabe basiert auf einem deutschen Artikel von 2003, der sich wiederum auf diesen polnischen Aufsatz von 1987 beruft: Paweł E. Tomaszewski – Profesor Jan Czochralski (1885-1953) i jego wkład do krystalografii – Wiadomości Chemiczne 41, 597-634 (1987). Wir hoffen, Dir damit weiterhelfen zu können.

      1. Gadomski sagt:

        Hallo Ralf,
        Jan Cz. studierte, ohne Zweifel, an der TU B.-Charlottenburg, wurde damals zum Studium inskribiert (zugelassen) worden, aber hatte angeblich das Studium nicht absolviert (mindestens, kein Zeugnis dabei)- so wuesste ich es, soweit ich es richtig erinnere, von Herrn Pawel Tomaszewski: konnte er so etwas irgendwie beschtaetigen? Gruesse nach Berlin von Adam /TU Bydgoszcz – UTP/

          1. Rainer Kirmse , Altenburg sagt:

            Ein kleines Gedicht zur Metallkunde:

            METALLOGEN

            Im Hause der Metallogen
            Wird gebogen und gezogen;
            Werden Werkstoffe malträtiert,
            Wird geröntgt und mikrospopiert;
            Ultraschall durchdringt Materie,
            Härtetests laufen in Serie.
            Dem Bau von Gitter und Kristall
            Nicht nur bei Eisen und Stahl,
            Uns’rer Metalle Feinstruktur
            Sind Metallogen auf der Spur.

            Rainer Kirmse , Altenburg

  3. Hallo,
    es gibt im Zusammenhang mit dem Jubiläum in 2016 auch neuere Forschungsergebnisse zum „eigentlichen“ Ort der Forschungen von J.Czochralski.
    Der hier im Foto abgebildete Querriegel im Bauformat der ehemaligen AEG_Fabrikationsstätte in Oberschöneweide (Berlin) an der Wilhelminenhofstrasse ist es wohl nicht gewesen, sondern der Bauquerriegel gegenüber dem jetzigen Mensabau (Früher Versand KWO) – schwer zugänglich weil zum Gelände der noch aktiven Firma gelegen).
    Grußm J.Feige

Schreibe einen Kommentar zu HNF Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.