Die Analogrechner kommen

Geschrieben am 31.01.2023 von

Am 24. März eröffnet das HNF in der Dauerausstellung mehrere neue Bereiche, darunter einen mit analogen Rechengeräten. Sie wurden von etwa 1930 bis 1980 in Wissenschaft und Technik eingesetzt, zu Zeiten als der Rechenstab das Erkennungszeichen des Ingenieurs war. Nachfolgend beleuchten wir die Geschichte und Prinzipien der Analogrechner, von denen die besten aus Deutschland stammten.

Definitionen sind manchmal kompliziert, oder sie treffen nicht genau zu, wir versuchen es aber trotzdem: Ein Analogrechner ist ein Gerät, das eine zahlenmäßige Eingabe auf einen physikalischen oder technischen Prozess überträgt und nach seinem Ende ein Resultat in Zahlen gewinnt. Es kann auch sein, dass als Input oder als Output eine Kurve dient. Der erwähnte Prozess spiegelt dabei ein mathematisches Problem.

Nach jener Begriffsbestimmung war der erste Analogrechner die Maschine von Antikythera, ein kleines mechanisches Planetarium. Es versank in ersten vorchristlichen Jahrhundert im Mittelmeer und wurde 1900 geborgen. Analog arbeiteten ebenso die Astrolabien des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die die Bewegungen bestimmter Sterne anzeigten. Mathematische Aufgaben bewältigte die in den 1620er-Jahren erfundene logarithmische Rechenscheibe. Aus ihr entstand der universell einsetzbare Rechenstab, der bis zum Aufkommen des Taschenrechners benutzt wurde.

Ein Desktop-Computer der 1960er-Jahre: Analogrechner RAT 700 von Telefunken

1674 skizzierte Gottfried Wilhelm Leibniz den Constructor, er gab die Lösung einer algebraischen Gleichung an. Im 18. Jahrhundert wurde er erneut erfunden und in ein funktionsfähiges Gerät umgesetzt. Das 19. Jahrhundert brachte das Planimeter zur Flächenmessung, erdacht vom Schweizer Jakob Amsler, und den Gezeitenrechner des britischen Physikers William Thomson, des späteren Lord Kelvin. Seinem Bruder James Thomson verdanken wir den Kugel-Scheiben-Integrator. Er liefert zu einer Kurve in einem Koordinatensystem das Integral, die Fläche zwischen der Kurve und der x-Achse.

Im 20. Jahrhundert verwandelte sich die Kugel des Integrators in ein Rädchen, wie im Video zu sehen. So wurde das Gerät zum wichtigsten Bauelement des Differentialanalysators, eines programmierbaren Analogrechners. Damit konnte man Differentialgleichungen lösen, die in Wissenschaft und Technik eine ungeheure Bedeutung haben. Den ersten „Differential Analyser“ konstruierte 1931 der amerikanische Ingenieur Vannevar Bush. Schon zehn Jahre zuvor schuf sein deutscher Kollege Udo Knorr eine technisch ähnliche Apparatur, den Fahrdiagraph; er fand aber keine weite Verbreitung.

Der MiniAC des Herstellers EAI aus New Jersey

Den ersten elektronischen Analogrechner baute der Elektroingenieur Helmut Hoelzer in Peenemünde; sein Mischgerät hielt die V2-Rakete auf Kurs. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden programmierbare Rechner, zunächst mit Röhren und dann mit Transistoren. Ein Glanzstück der Technik ist der RA 770, rechts in unserem Eingangangbild. Er wurde ab 1966 von Telefunken in Ulm gefertigt, sein Entwickler war Wolfgang Giloi. Im Foto erkennt man links und rechts die Stecktafeln für die Stromkabel und in der Mitte das Oszilloskop. Einen guten Überblick über die Telefunken-Geräte liefert dieser Artikel von Bernd Ulmann.

Er drehte auch ein sehr informatives Video zu elektronischen Analogrechnern; es erklärt die Arbeitsweise viel besser als es alle Beschreibungen können. Wir beschränken uns auf den Hinweis, dass der mit den Kabeln gesteckte Stromkreis sich mathematisch so verhält wie die Differentialgleichung, die man erforschen will. Das wäre also das „Analoge“ beim Computer. Die Größe, die man mit dem Rechner finden will, entspricht der elektrischen Spannung. Die Grundbausteine sind wie beim Differentialanalysator die Integratoren; sie werden durch Operationsverstärker realisiert. Konstanten stellt man mit Potentiometern ein.

Made in Paderborn: Analogrechner des Forschungs- und Entwicklungszentrum für objektivierte Lehr- und Lernverfahren FEoLL. Die Pfeile in der oberen Reihe zeigen Operationsverstärker an, die darunter Summier- und Multiplizierschaltungen.

Dieses und noch mehr präsentiert ab dem 24. März die neue HNF-Abteilung mit analogen Rechengeräten. Unsere Fotos zeigen Exponate. Die Besucher und Besucherinnen erfahren dort auch einiges zu den jüngsten Entwicklungen des Fachs. In den 1980er-Jahren wurden Analogcomputer von der digitalen Konkurrenz verdrängt, in den letzten Jahren kehrten sie aber wieder zurück. Analoge Mikroprozessoren gibt es heute von der texanischen Firma Mythic oder dem Hersteler Aspinity aus Pittsburgh. Vergessen wollen wir nicht den Spiel- und Lerncomputer THAT von Analog-Papst Bernd Ulmann.

Weitere Informationen zur Technik bringen Ulmanns Analogmuseum und die Internetseite von Rainer Glaschick in Paderborn. Eine schöne Übersicht schrieb Wilfried de Beauclair, der 2020 mit 108 Jahren verstarb. Die Retro-Mediathek führt in die Zeit zurück, als im Allgäu mathematische Instrumente hergestellt wurden: Bitte zu Minute 4:10 gehen. Das ist die Hauptsatzmaschine, und dieser Link führt zu militärischen Analogrechnern. Schließen möchten wir mit einem Film von 1948 – dem wohl ältesten zu unserem Thema– über den Differentialanalysator der Universität von Kalifornien in Los Angeles.

Hyperbelfeldröhre für elektronische Multiplikationen, die ab 1958 im Analogrechner ELARD des Instituts für Praktische Mathematik der Technischen Hochschule Darmstadt steckte.

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5 Kommentare auf “Die Analogrechner kommen”

  1. Michael Detambel sagt:

    Wieder ein sehr gut geschriebener und bebilderter Beitrag! Und weil ich gerade an einem Aufsatz arbeite, in dem auch das »Mischgerät« von Helmut Hoelzer erwähnt wird: Nach Auskunft des Archivs der TU (vormals TH) Darmstadt ist die Schreibweise in der Wikipedia nicht korrekt. Das »oe« ist also nicht erst in den USA entstanden.

    1. HNF sagt:

      Danke für den Hinweis! Haben wir korrigiert.

  2. Herbert Bruderer sagt:

    Das HNF deckt offenbar nur Analogrechner ab 1930 ab. Das ist sehr schade, denn solche Geräte waren jahrhundertelang verbreitet, vgl. dazu

    Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 1, 970 Seiten, 577 Abbildungen, 114 Tabellen, https://www.degruyter.com/view/title/567028?rskey=xoRERF&result=7

    Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 2, 1055 Seiten, 138 Abbildungen, 37 Tabellen, https://www.degruyter.com/view/title/567221?rskey=A8Y4Gb&result=4

    Bruderer, Herbert: Milestones in Analog and Digital Computing, Springer Nature Switzerland AG, Cham, 3rd edition 2020, 2 volumes, 2113 pages, 715 illustrations, 151 tables, translated from the German by John McMinn, https://www.springer.com/de/book/9783030409739

    Neben Rechenschiebern (Rechenstäbe, Rechenscheiben, Rechenwalzen, Rechenuhren) dienten z.B. Proportionalwinkel (Proportionalzirkel) und Reduktionszirkel für vielfältige Berechnungen.
    Die bedeutendsten Hersteller mechanischer Analogrechner waren Amsler (Schaffhausen), Coradi (Zürich) und Haff (Pfronten). Beliebt waren auch Flächenmesser (Planimeter), Storchschnäbel (Pantografen) und Koordinatografen. In der Schweiz boten u.a. Amsler und Contraves (Schaffhausen) Integrieranlagen an.
    Jakob Amsler ist der Erfinder des Polarplanimeters (1854), nicht aber des Planimeters, das schon 40 Jahre vorher zur Welt kam.

    1. HNF sagt:

      Wir haben auch ältere Analogrechner im Bestand und stellen z.B. Rechenschieber und Proportionalzirkel aus.

  3. Rudolf Schröer sagt:

    Ich bin sehr erfreut, dass das Thema Analogrechner im HNF präsentiert wird.

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