Ein Millionär zum Malnehmen

Geschrieben am 16.05.2017 von

Damit kannst du rechnen! So heißt die neue Sonderausstellung, die bis Ende Juli im HNF zu sehen ist. In seiner Dauerausstellung zeigt das Museum noch andere Maschinen zum Rechnen, darunter eine mit Namen Millionär. Sie multipliziert, wie wir es mit Papier und Bleistift tun. Sie enthält ein Element, das Konstrukteure nur selten verwendeten: den Einmaleinskörper.

Im letzten Jahr feierten wir den großen Gelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz. Er erfand nicht nur die Infinitesimalrechnung und das System der Dualzahlen, sondern auch eine Maschine für Multiplikation und Division. Leibniz brachte sie nicht zum Laufen, aber sein technischer Grundgedanke und die von ihm entworfene Staffelwalze gingen in viele Rechengeräte ein.

Die Idee ist ganz einfach: Eine Rechenmaschine besitzt einen Speicher, der eine Dezimalzahl aufnimmt. Dafür existieren verschiedene Realisierungen. Die Zahl kann man auf sich selbst addieren und die Summe in einem Resultatwerk ablegen. So kommt man zur Multiplikation. Das Verfahren ist narrensicher, aber manchmal umständlich. Bei der Multiplikation mit 999 muss man siebenundzwanzigmal kurbeln oder auf die Motortaste drücken. Oder man ist schlau, nimmt die Zahl mit 1.000 mal und zieht sie am Ende einmal ab.

Im 19. Jahrhundert überlegten sich Erfinder, ob es vielleicht auch anders geht. Wäre es nicht möglich, eine Maschine zu bauen, die von vornherein das kleine Einmaleins parat hat? Dann könnte man zu den beiden Faktoren die Zwischenprodukte abrufen und summieren, also vorgehen wie ein Mensch beim schriftlichen Rechnen. In den 1870er-Jahren wurden in den USA die ersten Patente für solche Maschinen erteilt. Erdacht hatten sie Edmund Barbour in Boston und der in New York lebende Spanier Ramón Verea.

Eine weitere Maschine für die direkte Multiplikation – so lautet der Fachausdruck – konstruierte der junge Franzose Léon Bollée. Auf der Pariser Weltausstellung von 1889 erhielt er dafür eine Goldmedaille. Die Ziffern des kleinen Einmaleins speicherte Bollées Gerät durch kleine Stifte. Im Foto erkennt man sie auf der hinteren Seite des Bauteils in mehreren Gruppen. Die Gruppen drücken Zahlenwerte durch unterschiedlich große Stifte, Scheiben oder Platten aus. Man nennt sie Multiplikations- oder Einmaleinskörper

Einen solchen Körper enthielt auch die Rechenmaschine Millionär – die ersten Exemplare hießen Excelsior. Sie wurde von 1899 bis 1935 vom Ingenieur Hans W. Egli am Stadtrand von Zürich gebaut. Insgesamt entstanden 4.655 Stück. Die patentierte Konstruktion stammte von seinem Freund Otto Steiger, der damals in München wohnte. Den Einmaleinskörper übernahm Egli allerdings von Léon Bollée. Eglis Fabrik fertigte ab 1907 ebenso die bekannte Staffelwalzenmaschine Madas.

Die Millionär war vermutlich die teuerste Rechenmaschine aller Zeiten. 1914 kostete sie je nach Version zwischen 1.050 und 2.772 Franken, was heute der zehnfachen Franken- und Eurozahl entspricht. Sie war aber auch die schnellste Maschine. Ein Beispiel: 4 x 317. Ein normaler Rechenapparat löste die Aufgabe durch drei Additionen: 317 + 317 + 317 + 317. Die Millionär war nach einer Operation fertig. Man gab den Input ein, stellte einen Hebel auf 4 und drehte einmal die Kurbel.

Das Geheimnis lag im Einmaleinskörper, der im Foto links unter dem Hebel sitzt. Er umfasst Metallplatten, aus denen Zungen unterschiedlicher Länge ausgesägt sind. Die Länge steht jeweils für eine Ziffer von 1 bis 9. Die Zungen wirken auf neun parallele Zahnstangen, die über Zahnräder das Resultatwerk beeinflussen. Der Hebel wählte zwei Platten aus, bei der Zahl 1 nur eine. Beim Kurbeln verschieben die Zungen zweimal die Zahnstangen, wobei etwa eine 4er-Zunge die Stange um 4 Plätze bewegt. Zwischen den Verschiebungen wird das Resultatwerk eine Dezimalstelle nach links versetzt.

Bei der Aufgabe 4 x 317 treten die beiden Platten in Aktion, die 4, 8, 12, 16,… codieren. Die eine Platte speichert die Einerziffern 4, 8, 2, 6,…, die andere die Zehnerziffern 0, 0, 1, 1,… In unserem Beispiel mit 317 erfolgt der Zugriff also auf 12 (=4×3), 4 (=4×1), 28 (=4×7) und auf die Ziffernfolgen 2-4-8 (Einer) und 1-0-2 (Zehner). Beim Kurbeln gelangt zunächst 102 ins Resultatwerk. Danach rückt dieses eine Stelle nach links, und 102 wird zu 1020. Nun wird 248 addiert, was schließlich 1268 ergibt, zweifellos das korrekte Ergebnis.

Bei einer längeren Aufgabe wie etwa 43 x 317 berechnet man 4 x 317 und 3 x 317. Man geht also im ersten Faktor von links nach rechts. Zwischen den beiden Operationen muss das Resultatwerk um einen Platz nach links rücken. Zum Verständnis empfehlen wir dieses Video; der Einmaleinskörper erscheint ab Minute 5:40. Vertiefte Informationen liefern eine Online-Broschüre und das animierte Modell, das darin beschrieben wird. Vor dem Rechnen unbedingt den Schalter rechts oben auf M für Multiplikation setzen und die Ziffernfenster ganz nach rechts verschieben.

Innerlich war die Millionär genial, äußerlich aber groß und schwer. Sie wog zwischen 36 und 50 Kilo, man konnte sie also nicht einfach auf den Schreibtisch stellen. Klein und elegant war die Einmaleinskörper-Maschine der Firma Olding, die 1950 in England herauskam. Ihren Konstrukteur Daniel Broido haben wir bereits im Blog getroffen. Seine Rechenmaschine hinterließ jedoch keine Spuren in der Technikgeschichte. Und es bleibt rätselhaft, warum nur so wenige Erfinder über direkt multiplizierende Rechenmachinen nachdachten.

Einen Einmaleinskörper wollen wir aber noch erwähnen, den aus dem Miracle Multiplier des Herstellers Burroughs. Der Buchungsautomat stammt aus den 1950er-Jahren und geht auf ein Gerät der Firma Moon-Hopkins zurück. Es erschien 1912 und enthält Dezimalzungen wie die Millionär. Eine Moon-Hopkins steht wie die Schweizer Maschine im HNF, siehe das Foto unten (Foto: Jan Braun, HNF). Und wer sie bestaunt hat, den laden wir zur Sonderausstellung Damit kannst du rechnen! ein, die noch bis zum 30. Juli zu sehen ist.

Das Eingangsbild zeigt eine Millionär-Rechenmaschine (Foto: Jan Braun, HNF).

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