Es begann in Mannheim

Geschrieben am 05.10.2018 von

Im Oktober 1998 installierte der Mannheimer Student Henrik Pfluger ein Chatprogramm auf seinem Computer. Es diente zur Kommunikation im Studentenwohnheim. Pfluger fügte dann noch eine Sprachfunktion hinzu. Das Ergebnis war buddyPhone, eine frühe Software für Internet-Telefonie. 1999 benutzten sie mehr als eine Million Menschen. 2004 beendete Pfluger sein Studium und startete danach zwei weitere Firmen.

Die Straßen von Mannheim sind eine Wissenschaft für sich. Das Alte Rathaus steht am Markplatz, siehe Eingangsbild, es hat aber die Postadresse F1 4A. Das liegt daran, dass die Häuser der Mannheimer Innenstadt rechteckige Blöcke bilden, sogenannte Quadrate. Jeder Block ist reihum mit Nummern versehen, zu denen manchmal noch ein Buchstabe kommt.

In Quadrat N6 erhebt sich mit Nummer 8 ein Wohnheim der örtlichen Universität. Vor zwanzig Jahren belegte dort der 22-jährige Informatikstudent Henrik Pfluger ein Zimmer. Mit acht erhielt er den ersten Computer, einen Commodore VC-20. Mit zwölf schrieb er medizinische Programme für seinen Vater. Im Mannheimer Wohnheim verfasste Pfluger – inzwischen gab es das Internet und das World Wide Web – ein Chatprogramm. Im Oktober 1998 erweiterte er es um die Aufnahme und Wiedergabe gesprochener Sprache.

Das Resultat hieß buddyPhone; es war die erste deutsche Software für Online-Telefonate und Windows-Betriebssysteme. Sie stand ab Januar 1999 im Rechenzentrum der Universität zum kostenlosen Download bereit. Das Programm umfasste nur 700 Kilobyte, bot aber eine exzellente Sprachqualität; erforderlich waren einzig Mikrofon und Lautsprecher. In zwei Monaten wurden 20.000 Kopien heruntergeladen, und bald blockierten die Downloads den Uni-Server. Pfluger musste sich einen neuen Computer suchen und fand ihn in Hamburg.

1999 war die Welt noch in Ordnung: Henrik Pfluger mit Tim Schumacher (links) und Ulrich Priesner (rechts) in Stockholm. (Foto Tim Schumacher)

Hier startete er die buddyPhone GmbH. Finanzchef wurde der Betriebswirt Tim Schumacher, die Technik übernahm der Informatiker Ulrich Priesner. Pfluger war der Chef des Ganzen und hielt 65 Prozent des Stammkapitals. Die Software lag auf einem Großrechner in Altona. Geld kam durch Werbebanner hinein. Aus jener Zeit ist eine Seitenkopie erhalten. 1999 fand buddyPhone schon 1,2 Millionen Nutzer. Im letzten Quartal des Jahres setzte die junge Firma rund 90.000 DM um; der Gewinn betrug 36.000 DM.

Für das Jahr 2000 plante man die Gründung einer Aktiengesellschaft, doch daraus wurde nichts. Mit zwei Millionen Mark stieg der im Dotcom-Boom der Neunziger reich gewordene Nikolai Manek ein. Die Kollegen von Henrik Pfluger wurden ausbezahlt; mit ihrem Geld gründeten sie die Sedo GmbH, eine heute weltweit tätige Handelsplattform für Internet-Domains. Tim Schumacher ist auch als Investor und „Business Angel“ aktiv. Er half unter anderem der Firma Eyeo, die durch ihre Werbebremse Adblock Plus berühmt wurde.

„Der Hamburger Bill Gates heißt Henrik Pfluger“, „Ein Wunderkind auf dem Weg zum Internet-Millionär“, so lauteten im Juni 2000 die Schlagzeilen, als Henrik Pflugers Telefonprogramm die Zahl von zwei Millionen Downloads überschritt. Der Erfolg setzte sich noch eine Weile fort, doch Pfluger war nicht mehr Herr im eigenen Haus. Er ging an die Universität zurück und beendete 2004 in Hamburg sein Informatik-Studium. Danach gründete er eine neue Firma für Ferngespräche im Internet, die Bellshare GmbH.

Bellshare wurde 2010 von der Hofmeir Media GmbH erworben. In Florida begann Pfluger unter dem Namen Bellshare Inc. ein Unternehmen für Smartphone-Apps. Aus dem Jahr 2015 stammen die letzten Mitteilungen der Firma. 2016 erschienen zwei Nachrichten auf Twitter. Seitdem schweigt das Netz – ein Schicksal in der New Economy. Tim Schumacher danken wir herzlich für die Sachinformationen und das obige Gruppenfoto.

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