Fahr’n fahr’n fahr’n auf der Datenautobahn

Geschrieben am 08.12.2016 von

Ältere Interet-User kennen sie sicher noch: die Datenautobahn. In den 1990er-Jahren stand sie für die neue digitale Vernetzung. Der Begriff geht zurück auf die amerikanische Information Superhighway. Diese wurde vor allem vom US-Politiker und späteren Vizepräsidenten Al Gore propagiert. Vor genau 25 Jahren erlangte der von ihm maßgeblich gestaltete „High-Performance Computing Act of 1991“ Gesetzeskraft.

Es ist Montag, der 9. Dezember 1991. In der US-Bundeshauptstadt Washington unterzeichnet Präsident George Bush ein Gesetz und hält dazu eine kurze Ansprache. Zitat: „Die Entwicklung der Technologien für das Hochleistungsrechnen und die Breitbandkommunikation wird die Art und Weise, in der Amerika arbeitet, lernt und kommuniziert, radikal transformieren. Sie wird unsere Gesellschaft so verändern wie die anderen großen Erfindungen des 20. Jahrhunderts, so wie das Telefon, das Flugzeug und wie Radio und Fernsehen.“

Das Gesetz, das der Präsident unterschrieb, war der High-Performance Computing Act of 1991. Seine elf dicht bedruckten Seiten betrafen die Förderung des Hochleistungsrechnens. Das meinte nicht nur die Beschaffung der Hard- und Software, sondern ebenso die Bereitstellung von Personal und die Finanzierung praktischer Anwendungen und weiterer Forschungen. Ganz vorn stand ein breitbandiges und superschnelles Datennetz für Wissenschaft und Hochschulen. Die gesamte Technologie wurde im Gesetzestext als „national information infrastructure“ bezeichnet.

In seiner Rede dankte Präsident Bush den Helfern und Unterstützern, einen Namen erwähnte er nicht: Al Gore. Dabei war es dieser Politiker gewesen, der den Gesetzentwurf im Senat eingebracht und durchgeboxt hatte. Der 43-jährige Gore vertrat von 1977 an den Bundesstaat Tennessee im Repräsentantenhaus; ab 1985 war er Senator. Sein Interesse für Hightech trug ihm den Spitznamen Atari-Demokrat ein. 1993 wurde Gore Vizepräsident, verlor aber 2000 die Präsidentenwahl. Später engagierte er sich vor allem in der Klimapolitik. 2007 gewann er den Friedensnobelpreis.

In Vorträgen und Artikeln zum oben erwähnten Gesetz benutzte Gore gerne einen ganz bestimmten Ausdruck. Im September 1991 brachte das Magazin „Scientific American“ ein Sonderheft über Computernetze. Ein Beitrag stammte von Al Gore und enthielt die folgenden Sätze: „Seit bald 15 Jahren arbeite ich dafür, dass die Regierung in die notwendige Infrastruktur der Information Superhighways investiert. Ich kämpfte für die Finanzierung des Internets und seines Nachfolgers, des nationalen Forschungsnetzes, das fast hundertmal schneller sein wird.“

Al Gore hat den Ausdruck aber nicht erfunden. Schon 1983 benutzte ihn die Zeitschrift „Newsweek“ in einem Artikel über Glasfaserkabel. 1985 tauchten die Information Superhighways in einem Video der Telefongesellschaft AT&T auf. Der Erste, der die Highways von der Verkehrs- in die Kommunikationstechnik übertrug, war der New Yorker Journalist Ralph Lee Smith. Sein Buch von 1972 schilderte ein künftiges Kabelfernsehen und hieß „The Wired Nation–Cable TV: The Electronic Communications Highway“. Heute widmet sich Smith der traditionellen amerikanischen Folk Music.

Al Gore im Jahr 1994

Al Gore im Jahr 1994

Die Bedeutung der Information Superhighways lag irgendwo zwischen den reinen Netzwerken und der übergreifenden IT-Technik. Der Ausdruck klang jedenfalls gut. Ab Anfang 1993 konnte Al Gore seine Netzideen als Vizepräsident weiter verfolgen. Das Weiße Haus erhielt 1994 die erste Homepage. Sein Gesetz von 1991 wirkte sich positiv auf die Entwicklung des amerikanischen Hochleistungsrechnens aus. In einem Supercomputer-Institut entstand 1993 der höchst einflussreiche Browser MOSAIC. 2012 kam Gore in die Ruhmeshalle des Internet.

In Deutschland wurde aus der Information Superhighway die Datenautobahn; das Wort bedeutete zumeist ein digitales Netz hoher Kapazität. 1993 finden wir es in einem SPIEGEL-Gespräch mit Bill Gates. 1995 produzierte die Deutsche Telekom ein elfminütiges Video über die neue vernetzte Welt. Es endete mit der Aussage: „Die Datenautobahn ist real!“ Und Anfang 1996 trällerten die sportlichen Eurocats im deutschen Fernsehen: „Surfen, surfen durch die Welt mit Multimedia, surfen, surfen Tag und Nacht auf der Datenautobahn.“

Inzwischen hatte Tim Berners-Lee von Genf aus das World Wide Web auf den Weg gebracht. Die Folge war, dass die Öffentlichkeit Infobahn und Internet vermischte und die Begriffe mehr oder weniger synonym gebrauchte. Oder um die Eurocats zu zitieren: „Komm heute Nacht ins Internet, ich warte schon auf Dich. Mensch, sei ein User, geh online, mit E-Mail triffst Du mich.“ Als weiteres Synonym kam der Cyberspace hinzu. Der Höhepunkt des Datenautobahnverkehrs lag in den Jahren 1995 und 1996 mit 40 bzw. 36 Nennungen im SPIEGEL.

Danach sank die Nutzung wieder ab. 1999 klagte die österreichische Band Erste Allgemeine Verunsicherung: „Ich habe mich verfahrn‘ – auf der Datenautobahn.“ Schon 1995 erstellte das Wissenschaftszentrum Berlin ein Diskussionspapier „Die Datenautobahn – Sinn und Unsinn einer populären Metapher“. Im Jahr 2016 ist sie nicht vergessen, wie man leicht mit Google ermitteln kann. In Wirtschaft, Wissenschaft und Politik macht sich aber eher die Gigabit-Gesellschaft breit.

Erinnern möchten wir zum Abschluss an den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl. Auf eine Frage zu Datenautobahnen wies er 1994 darauf hin, dass Autobahnen Ländersache wären, und beklagte das Stop and Go auf den Schnellstraßen. Er lernte aber schnell hinzu, und die Eröffnungsrede zur CeBIT 1998 hätte Atari-Demokrat Albert Gore kaum besser hingekriegt.

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