Fünfte Generation aus Japan
Geschrieben am 01.08.2023 von HNF
Meist werden Computer in vier Generationen unterteilt: Geräte mit Röhren, Transistoren, integrierten Schaltungen und Mikroprozessoren. Ab dem Jahr 1982 förderte das japanische Ministerium für internationalen Handel und Industrie ein Projekt für eine fünfte Generation. Ziel war ein Parallelrechner mit Künstlicher Intelligenz. Das Projekt erregte viel Aufsehen, es ging aber 1994 sang- und klanglos zu Ende.
Der erste Hinweis versteckte sich in einem Bericht des Rechnungshofs des US-Kongresses; er erschien am 21. September 1979, behandelte die japanische Wirtschaft und enthielt diese Passage: „In einem Programm, das 1971 begann, arbeitet das Elektrotechnische Labor des MITI mit Toshiba, Fujitsu, NEC, Hitachi und Mitsubishi an der Entwicklung einer fünften Computer-Generation. Das 100 Prozent staatlich finanzierte Programm hat einen Etat von umgerechnet 94,3 Millionen Dollar und soll 1981 beendet sein.“
Die Meldung trug den Titel Pattern recognition system. So nennt man in der Künstlichen Intelligenz Hard- und Software zur Mustererkennung; der Text deutete an, dass das Projekt mit Schrift und Sprache zu tun hatte. Das Wort MITI bezeichnete das japanische Ministerium für internationalen Handel und Industrie und die „fünfte Generation“ eine Fortsetzung der bekannten vier Computer-Generationen, sprich Geräte mit Röhren, Transistoren, ICs und höher integrierten Schaltungen bis zu Mikroprozessoren. Den Ausdruck prägte wohl 1970 der amerikanische Informatiker und Zukunftsforscher Earl Joseph.
Der Hinweis des amerikanischen Rechnungshofs war aber nicht ganz korrekt. Tatsächlich begann 1979 in Japan ein „Komitee zur Untersuchung und Erforschung von Computern der fünften Generation“ mit der Arbeit. Geleitet wurde es von Tohru Moto-oka, Professor der Universität Tokio; die Mitglieder waren Hochschullehrer und Angehörige wichtiger IT-Firmen. Im Abschlussbericht von 1981 gelangten sie zu der Erkenntnis, dass in den 1990er-Jahren Rechner mit KI und Expertensystemen vorliegen sollten; diese speichern von Menschen eingegebenes Faktenwissen in logischer Form.
Vom 19. bis 22. Oktober 1981 fand in Tokio eine internationale Konferenz zu den Systemen der fünften Generation statt. Von den 256 Teilnehmern kamen zwei Drittel aus Japan, doch immerhin 38 aus den USA. Zu den Referenten gehörte der Informatiker Edward Feigenbaum, der die Expertensysteme erfand, und sein deutscher Kollege Wolfgang Bibel, ein Fachmann für Logik-Programme. Im Saal saß der gebürtige Schotte Stuart Savory; er vertrat die Nixdorf Computer AG. Wer sich im Internet Archiv anmeldet, kann in den Vortragsband schauen.
Offiziell startete das Projekt Fünfte Generation im April 1982; das Geld dafür gab das oben erwähnte MITI. Im Zentrum agierte ein Forschungsinstitut namens ICOT, das zu Beginn rund vierzig Mitarbeiter umfasste. Sie stammten aus großen Elektronik- und Computerfirmen und belegten den 21. Stock eines Bürohochhauses in Tokio. Der Direktor war Kazuhiro Fuchi. ICOT besaß Abteilungen für Hardware, Software und Anwendungsprogramme. Unterstützt wurde das Institut durch Wissenschaftler in mehreren Universitäten.
In den 1980er-Jahren interessierten sich die Bundesdeutschen zum ersten Mal für KI und erfuhren von Expertensystemen und Wissensverarbeitung; die Presse berichtete über die Forschung im fernen Osten. 1984 erschienen zwei Bücher: Der Siemens-Manager Martin Wolters schrieb „Die fünfte Generation: der Schlüssel zum Wohlstand durch Industrieroboter und intelligente Computer“, Edward Feigenbaum und die Wissenschaftsautorin Pamela McCorduck verfassten „Die Fünfte Computer-Generation – Künstliche Intelligenz und die Herausforderung Japans an die Welt“.
Aus der Herausforderung wurde dann nichts. Das MITI investierte 400 Millionen Dollar; es entstanden viele Papiere, eine umfangreiche Software und eine Rechnerfamilie PIM oder „Parallel Inference Machine“. Es brach aber kein neues Zeitalter mit intelligenten Computer an. Im Juni 1992 fand die Schlusskonferenz statt, das ist der erste und das der zweite Band der Vortragstexte. Bis 1994 lief das Projekt Fünfte Generation endgültig aus: Hier geht es zum Museum, und dieser Link führt zu Hardware-Fotos.
Stuart Savory erhielt durch das Projekt viele Anregungen und baute die NCAG-Abteilung für Künstliche Intelligenz auf. Ansonsten regt das Schicksal der fünften Generation zum Vergleich mit aktuellen KI-Aktivitäten an. Wäre ein systematisches Vorgehen wie in Japan sinnvoller als das Hauen und Stechen der US-Firmen? Ist Deep Learning wirklich besser als das logische Programmieren der 1980er-Jahre? Und könnte nicht ChatGPT museumsreif werden? Auch Künstliche Intelligenz hat eine Vergangenheit und eine Geschichte.
Unser Eingangsbild zeigt die Hände des Klavier spielenden Wabot-2 von 1985. Im Feld der Robotik hatte die japanische IT-Industrie etwas mehr Erfolge als in der KI.