Joseph Weizenbaums Computerspiel

Geschrieben am 09.06.2023 von

Der Informatiker und Philosoph Joseph Weizenbaum schuf den Chatbot ELIZA und machte sich einen Namen als Kritiker der Computerwelt. Weniger bekannt ist, dass er außerdem ein Programm für das japanische Brettspiel Gomoku entwarf. 1962 erschien darüber ein Artikel von ihm im Magazin „Datamation“. Zu jener Zeit arbeitete Weizenbaum für die Firma General Electric in Kalifornien.

Seit dem Schachtürken des Wolfgang von Kempelen gelten Spiele als Maßstab für die maschinelle Intelligenz. 1914 führte der Spanier Leonardo Torres Quevedo einen einfachen Schach-Automaten vor, 1940 baute der amerikanische Physiker Edward Condon ein Gerät für Nim. 1950 fand sein Landsmann Claude Shannon das Minimax-Prinzip für Spielprogramme. Ab 1952 entwickelte der IBM-Forscher Arthur Samuel Software für Dame, und 1962 wurden Ideen für ein weiteres Brettspiel-Programm publiziert.

Das Februar-Heft 1962 der amerikanischen Zeitschrift „Datamation“ enthielt einen Artikel How to make a computer appear intelligent – er beginnt auf PDF-Seite 26. Eine deutsche Übersetzung des Titels wäre „Wie man einen Computer intelligent aussehen lässt“. Der Autor hieß Joseph Weizenbaum; im Januar feierten wir seinen 100. Geburtstag. 1962 war er noch unbekannt und arbeitete im Computerlabor des General-Electric-Konzerns im kalifornischen Mountain View. Weizenbaum befasste sich dort mit dem Bankensystem ERMA.

Er interessierte sich aber auch für Künstliche Intelligenz und kannte das Minimax-Konzept von Claude Shannon. Wahrscheinlich suchte er ein Spiel, das noch kein KI-Forscher erkundet hatte, und fand Gomoku. Es stammt aus Japan – der Name bedeutet „fünf Stück“ – und benutzt ein 15 x 15-Gitter. Weizenbaum verwendete ein 19 x 19-Brett. Die beiden Spieler setzen abwechselnd schwarze und weiße Steine auf die Gitterpunkte. Schwarz beginnt, was erfahrungsgemäß einen leichten Vorteil bringt. Sieger ist, wer zuerst eine Reihe mit fünf Steinen in waagrechter, senkrechter oder diagonaler Richtung legen kann.

In seinem Artikel schilderte Joseph Weizenbaum die Grundzüge eines Gomoku-Programms. Der Text ist knapp gehalten und führt keine Zugfolgen an, klar wird aber, dass der Computer nicht dem Minimax-Prinzip folgt. Er berechnet also nicht die möglichen Züge des Gegners und die unterschiedlichen Reaktionen darauf. Er analysiert nur die gerade auf dem Brett vorliegende Position und wählt mit einem Bewertungsverfahren einen Zug aus, der die Chancen des Gegner so weit wie möglich reduziert und die eigenen Aussichten vergrößert.

Gomoku-Brett mit schwarzen und weißen Steinen (Foto Matěj Baťha CC BY-SA 3.0)

Im General-Electric-Labor setzte ein Kollege von Weizenbaum seine Ideen in ein lauffähiges Programm um. Wie der „Datamation“-Text mitteilte, trat es gegen menschliche Opponenten verschiedener Spielstärke an. Anfänger wurden in der Regel geschlagen, selbst wenn sie die schwarzen Steine führten und den ersten Zug hatten. Mit der Zeit lernten sie aber hinzu und schafften es, das Programm mit neuen Strategien zu überwinden. Joseph Weizenbaum gelang es jedoch nie, seine Schöpfung zu besiegen.

Der Titel des Aufsatzes und die einführenden Bemerkungen deuten an, dass Weizenbaum die Künstliche Intelligenz schon 1962 skeptisch sah. Die Gomoku-Software von General Electric war aber die erste ihrer Art. Sie zog viele ähnliche Produkte nach sich, 1969 entstand eines an der Universität Erlangen. In den frühen 1990er-Jahren erstellte der holländische Informatiker Victor Allis ein Programm namens Victoria, das alle Konkurrenten vom Brett fegte. 1993 bewies er, dass es unschlagbar ist, wenn es den ersten Zug ausführt.

Heute gibt es natürlich Gomoku-Programme im Netz. Hier und hier hat der Computer den ersten Zug, in dieser Seite startet der Mensch. Das Internet Archive bietet weitere Software an sowie ein Buch über die Spiele Go und Gomoku aus dem Jahr 1934. Sein Autor Edward Lasker wurde 1885 als Eduard Lasker in der Provinz Posen geboren. 1914 emigrierte er nach Amerika, er starb 1981 in New York. Das Spiel Go verwendet das gleiche Brett und die gleichen Steine wie Gomoku, hat aber völlig andere Regeln.

Unser Eingangsbild (Foto Il Mare Film) zeigt Joseph Weizenbaum um 1965 in der Redaktion der ZEIT; mit dem Fernschreiber bedient er einen Computer im Massachusetts Institute of Technology. Dort besuchte ihn Ende 1966 oder Anfang 1967 auch ein Kamerateam des TV-Netzwerks CBS. Es dokumentierte einen Dialog zwischen ihm und dem Programm ELIZA, allerdings nicht mit dem psychologischen, sondern dem medizinischen Teil. Es sind die vermutlich ersten Filmaufnahmen des großen Computer- und KI-Kritikers.

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