Netz aus Glas

Geschrieben am 30.06.2017 von

Vom 28. Juni bis 1. Juli sind die Paderborner Wissenschaftstage. Auch das HNF beteiligt sich daran. Ein Schwerpunktthema bilden Glasfasern. Seit den 1970er-Jahren verbreiten sich Glasfaser-Kabel, durch die mit Laserlicht Telefonate und Daten übertragen werden. 1988 ging die erste Glasfaserleitung durch den Atlantik in Betrieb. Das weltweite Internet wäre undenkbar ohne die revolutionäre optische Technik.

Im Juli 1866 dampfte das Riesenschiff „Great Eastern“ durch den Atlantik; es verlegte ein Seekabel von Irland nach Kanada. Am Ende des Monats lief das erste Telegramm hindurch und eröffnete eine neue Ära globaler Kommunikation. Neunzig Jahre später ermöglichte das Kabel TAT-1 Ferngespräche zwischen der alten und der neuen Welt. Beide Verbindungen basierten auf Kupferleitungen und der klassischen Schwachstromtechnik.

Im Dezember 1988 begann ein weiteres Kapitel: Das transatlantische Telefonkabel TAT-8 ging in Betrieb. Es übertrug Inhalte digital und mit einem neuen Material – Glasfaser. Das Kabel startete an der Küste des US-Bundesstaats New Jersey. Vor Europa teilte es sich auf: Der nördliche Zweig führte zum englischen Cornwall, der südliche endete an der Bretagne. Verlegt wurde es von den Firmen AT&T, France Télécom und British Telecom. Die ersten Nutzer waren American Express, British Airways und Honeywell Bull aus Frankreich.

TAT-8 war das erste Langstreckenkabel auf Glasfaser-Basis, aber nicht das letzte. Anfang 2016 wurde die Atlantik-Leitung AEC-1 fertig. In Arbeit befindet sich MAREA; das Kabel soll die USA und Spanien verbinden. Seit 1988 verwenden alle großen Kommunikationsadern die Technologie, und nur sie ermöglichte das schnelle Wachstum des Internets. Schon 2006 bewältigten Glasfaserkabel 99 Prozent der globalen Kommunikation; der Rest entfiel auf Satelliten. Inzwischen dürfte sich das Verhältnis weiter zum Kabel verschoben haben.

Die Anfänge der Technik sind wie so oft klein und liegen lang zurück. Glas blasen konnten schon die alten Römer, die auch Fensterglas herstellten. 1733 erzeugte der Franzose René-Antoine de Réaumur – nach ihm wurde eine Thermometerskala benannt – kurze Glasnadeln. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts schufen Erfinder in Frankreich, England und Amerika Glasfäden, die sich verweben ließen. Andere entwickelten Systeme aus gebogenen Glasstäben für Beleuchtungszwecke.

Zeichnungen aus dem Glasfaser-Patent von Clarence Hansell

Der US-Forscher Clarence Hansell meldete 1927 gebündelte Glasfasern zum Patent an. Die Realisierung eines solchen Bündels gelang 1930 dem Medizinstudenten Heinrich Lamm in München. Er dachte an ein Gerät zum Betrachten des Körperinneren, ein Endoskop. Jeder Glasfaden überträgt dabei einen Bildpunkt. Zusammen liefern die Punkte das vollständige Bild. Die physikalische Grundlage ist die Totalreflexion. Sie hält Lichtwellen in einem lichtdurchlässigen Material, sofern sie im richtigen Winkel eintreten.

In den 1950er-Jahren kamen die ersten praktikablen Endoskope mit Glasfasern heraus. Der SPIEGEL stellte eines 1963 vor; Schauplatz war die Universitätsklinik von Erlangen und der Magen eines Patienten. Zur gleichen Zeit begann in England die Erforschung der in den Glasfasern auftretenden Dämpfung. Sie erfasst man mit der logarithmischen Größe Dezibel, abgekürzt dB. Bei 10 dB Dämpfung kommt ein Zehntel der Lichtenergie am anderen Ende der Leitung an, bei 20 dB ein Hundertstel, bei 30 dB ein Tausendstel usw.

Bei der Untersuchung, wie sich die Dämpfung verringern lässt, zeichnete sich der 1933 in Shanghai geborene Physiker Charles Kao aus. 2009 erhielt er mit zwei amerikanischen Wissenschaftlern den Nobelpreis. Große Verdienste um die Herstellung reiner Glasfaser erwarb sich die amerikanische Firma Corning. Heute sind die Fäden so lichtdurchlässig, dass in Seekabeln nur alle hundert Kilometer ein optischer Verstärker sitzt. Er frischt die datentragenden Lichtwellen auf, die im infraroten Spektralbereich durchs Kabel eilen.

Das Licht kommt aus Lasern, ohne sie gäbe es keine Glasfasern im Ozean. „Laser“ ist eine Abkürzung und bedeutet – wir übersetzen gleich ins Deutsche – Lichtverstärkung durch stimulierte Emission von Strahlung. Die ersten Laserblitze wurden 1960 im Labor erzeugt. Zehn Jahre später lief die erste Laser-Diode im Dauerbetrieb und bei Raumtemperatur. Sie ist heute der gebräuchlichste Typ der Laser; sie steckt etwa in Laserpointern, CD-Playern, Strichcode-Scannern und natürlich in Glasfaser-Leitungen.

Manfred Börner im Jahr 1966

Die Entwicklung jener Diode wurde im Jahr 2000 mit zwei Nobelpreisen belohnt; Gewinner waren der Weißrusse Schores Alfjorow und der aus Weimar stammende Herbert Kroemer. (Ein weiterer Nobelpreis ging an den Amerikaner Jack Kilby für die integrierte Schaltung.) In der Glasfaser-Geschichte finden wir einen weiteren deutschen Innovator: Manfred Börner. 1929 im sächsischen Rochlitz geboren, arbeitete er im Forschungsinstitut von Telefunken in Ulm; 1979 wurde er Professor an der TU München. Er starb bereits 1996.

Am 21. Dezember 1966 meldete Börner ein Patent für ein „Mehrstufiges Übertragungssystem für ein Pulscodemodulation dargestellte Nachrichten“ an. Auf dreieinhalb Seiten beschrieb es die digitale Datenübertragung mit Glasfaser und Laser, so wie wir sie kennen. Gewährt wurde das Patent am 16. Mai 1968. Der SPIEGEL beschrieb die Technik 1973: „Liebesgeflüster und Lächeln, ein Fernblick auf die Kursnotierungen an der Börse, Computerdaten oder Grüne-Witwen-Tratsch – …ein einziger haardünner gläserner Faden soll es übermitteln.“

In den USA wurden ab 1977 terrestrische Systeme installiert. 1979 verlegte die Bundespost erste Teststrecken in Berlin-Wilmersdorf und zwischen Frankfurt und Oberursel. 1981 startete sie in sieben Städten das „Breitbandige Integrierte Glasfaser-Fernmeldeortsnetz“ BIGFON. Das Projekt endete 1988, doch eine flächendeckende Glasfaser-Versorgung der Bundesrepublik unterblieb. Sie hätte 200 bis 300 Milliarden DM gekostet. Zum aktuellen Ausbaustand bitte Glasfaser-Internet.info oder bei der Telekom nachschlagen.

1977 gründeten die Siemens AG und die  erwähnte Firma Corning ein Tochterunternehmen zur Produktion von Glasfasern. Es trug den Namen Siecor und war profitabel. Im Jahr 2000 verließ Siemens das Joint Venture aber wieder. Nicht vergessen werden Glasfaser an den Paderborner Wissenschaftstagen am 30. Juni und 1. Juli. Das HNF bietet Workshops und Experimente an. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

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Ein Kommentar auf “Netz aus Glas”

  1. Das österreichische Radio INGELEN GEOGRAPHIC 438WG von 1938 besaß auf dem Außenring der Skala kreisförmig die Bezeichnung der 60 wichtigsten Radiostationen und auf der innen liegenden Europakarte die Standorte dieser Sender. Dabei waren Sendername und -standort paarweise durch ein gekrümmtes Glasstäbchen verbunden. Bei Wahl eines Sendernamens wurde dieser und der zugehörige Standort durch den gemeinsamen Lichtleiter beleuchtet. Die „Verkabelung“ von ca. 60 Stationsnamen und -orten sah verwegen aus. Trotzdem könnte dies das erste „Glasfaser-Display“ in einem Konsumgüterprodukt sein.

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