Nimrod – ein Elektronengehirn in Berlin

Geschrieben am 07.10.2021 von

Vor achtzig Jahren wurde in Berlin der Computer geboren. Die Z3 von Konrad Zuse enthielt 1941 noch elektromagnetische Relais. Ein Jahrzehnt später lief an der Spree ein Rechner mit Elektronenröhren. Nimrod aus England war im Oktober 1951 die Attraktion der Deutschen Industrieausstellung. Wir fanden zu ihm unbekannte Fotos und einen amüsanten Bericht des Herstellers Ferranti.     

Am 24. Oktober 2001 wurde das HNF nicht 25, sondern erst fünf Jahre alt; es eröffnete aber die große Sonderausstellung Computer.Gehirn. Sie enthielt unter anderem eine Bild-Text-Wand zu einem Rechner, der das Denkspiel Nim beherrschte; zwei Fotos von der Wand erschienen auch im Internet. Die Bilder und die Ausstellung leiteten die Wiederentdeckung des Nimrod ein, des ersten Elektronengehirns, das 1951 auf deutschem Boden lief.

Die Nimrod-Wand von „Computer.Gehirn“. Die Fotos kamen von Bildagenturen und aus dem Berliner Landesarchiv. Eingebaut ist ein Nim-Spiel mit viermal sieben Kugeln.

Der Computer besaß 480 Elektronenröhren und ein interaktiv bedienbares Programm für das Nim-Spiel. Er war 3,65 Meter breit und 2,76 Meter hoch; die Zentraleinheit wog eine Tonne. Nimrod stammte von der in Manchester ansässigen Elektronikfirma Ferranti. Entwickelt und gebaut wurde er im ersten Quartal des Jahres 1951. Anfang Mai stand er im Londoner Science Museum; er gehörte zur Wissenschaftsausstellung des Festival of Britain. Aus jener Zeit ist auf Twitter ein Foto überliefert; vorn am Pult sitzt der menschliche Gegner des Computers.

Das Festival präsentierte Millionen von Besuchern englische Leistungen in Kunst, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik; es endete am 30. September 1951. Danach wollte Ferranti Nimrod entsorgen, doch es kam anders. Das Amt für Wirtschaftsförderung bat die Firma, ihn auf der Deutschen Industrieausstellung in Berlin zu zeigen. Sie fand vom 6. bis 21. Oktober auf dem Charlottenburger Messegelände statt. Ferranti konnte die Bitte schwerlich abschlagen, und die Ingenieure machten in Tag- und Nachtarbeit die Anlage reisefertig.

Die Bristol 170 war nicht schön, aber das richtige Flugzeug, um Nimrod nach Berlin zu bringen. (Foto RuthAS CC BY 3.0 links beschnitten)

Früh am 1. Oktober fuhren sie den Computer zu einem Flugplatz westlich von London. Da das vorgesehene Transportflugzeug ausfiel, hoben Nimrod und seine Begleiter erst am Abend in einer Ersatzmaschine ab. Um zwei Uhr nachts landeten alle in Berlin, höchstwahrscheinlich in Tempelhof. Am Morgen des 2. Oktober wurde Nimrod auf drei Anhänger geladen, die ein Traktor wie die Ausrüstung eines Zirkus durch die Stadt zog. Der Reisebericht von Ferranti vermerkt dazu auf Seite 3: „Es fehlten nur die Elefanten.“ Um zwei Uhr nachmittags traf der Transport am Pavillon auf dem Messegelände ein.

Zusammen mit sechs Berliner Technikern brachten die Engländer den Rechner wieder zum Laufen. Aus Manchester traf der Software-Experte Dietrich Prinz ein, der Studenten für die Bedienung anlernte. Am Freitag, dem 5. Oktober, war Nimrod blankgeputzt und spielbereit. An der Vorderfront trug er ein großes F für Ferranti und das Wort „Elektronengehirn“. Er bildete den Blickfang im Ostflügel des britischen Pavillons. Im Westflügel befand sich ein Kino für 3D-Filme, außerdem gab es eine Ausstellung über William Shakespeare.

Der Südteil des Berliner Messegeländes im Jahr 1952. Links oben ist der britische Pavillon, daneben das Marshall-Haus. (Foto Leinwand CC BY-SA 3.0 seitlich beschnitten)

Eröffnet wurde die Industrieausstellung einen Tag später; hier ist die Rede von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Der Messerundgang führte auch zu Nimrod; die Wochenschau fing ihn bei Minute 1:35 ein. Unser Bericht beschreibt den Kampf von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard und der Maschine: „the Reich Minister for Economic Affairs“ verlor drei von drei Nim-Spielen. Computer waren eben noch Neuland. Die Artikel in der Presse bewirkten aber, dass jeden Tag Tausende von Menschen in den Pavillon strömten. Angeblich mussten stets zwei Polizisten für Ordnung sorgen.

Das Foto, das zu Beginn des erwähnten Berichts erschien, ist in unserem Eingangsbild zu sehen; es zeigt die Szene vom 6. Oktober 1951. Links am Pult sitzt General Geoffrey Bourne, der Kommandant des britischen Sektors von Berlin; neben ihm denkt Ludwig Erhard nach. Der Hinterkopf rechts von ihm gehört Dietrich Prinz; er versuchte vergeblich, dem Minister durch Tipps zu helfen. Wir danken Frau Anastasia Dittmann vom Museum Charlottenburg-Wilmersdorf für die Fotografie und Dr. Kai Kottenstede von der Messe Berlin GmbH für die Erlaubnis, sie im Blog zu nutzen.

Auszug aus dem Infoblatt, das 1951 im britischen Pavillon auslag.

Nach dem Ende der Industrieausstellung kehrte der Computer per Lkw nach England zurück. Er soll danach in Kanada gespielt haben, der Ferranti-Artikel, der Ende 1951 herauskam, weiß allerdings nichts davon. Vielleicht liegt eine Verwechslung mit dem Tic-Tac-Toe-Automaten Bertie the Brain vor. Sicher ist, dass Nimrod bald verschrottet wurde. Der britische Pavillon auf dem Berliner Messegelände ist ebenfalls verschwunden; das Gebäude wurde in den 1960er-Jahren abgerissen. Auf dem Areal entstanden neue Ausstellungshallen.

Hinweisen möchten wir auf den Nimrod-Simulator von Pete Goodeve. Zu Beginn werden vier Nim-Haufen angelegt. Bitte in jeder Reihe ein Feld anklicken, dann leuchten über ihm und über den Nachbarfeldern Lämpchen auf. Nun wird der Schalter links oben mit der Maus von SETUP auf PLAY gesetzt und der erste Zug gemacht. Dazu wählt man eine Reihe aus und klickt ein beleuchtetes Feld an. Die Felder rechts von ihm werden aus dem Spiel entfernt, ihre Lämpchen verlöschen. Ein Klick auf COMP.MOVE lässt Nimrod ziehen. Anschließend ist wieder der menschliche OPPONENT dran, und so weiter und so fort. Viel Erfolg!

Zoom auf Nimrod. (Foto Museum Charlottenburg-Wilmersdorf / Messe Berlin GmbH)

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3 Kommentare auf “Nimrod – ein Elektronengehirn in Berlin”

  1. Wolfgang Nake sagt:

    sehr schöner Beitrag, tolles Ereignis für Deutschland damals, tolle Technikpräsentation. Man sollte aber in diesem Rahmen nicht vergessen zu erwähnen, dass es schon vor sehr vielen Jahren einen Vorläufer gab, der ebenfalls Respekt verdient. 1940 bereits gab es das NIMATRON auf der New York World’s Fair. Ein tolles Gerät, alles mit Relais aufgebaut. –Wolfgang Nake

    1. HNF sagt:

      Zum Nimatron haben wir auch einen Artikel: https://blog.hnf.de/spielen-sie-nim/

  2. Wolfgang Nake sagt:

    Sehr interessanter und detailreicher Beitrag, incl der link auf das Youtube-video über ein weiteres NIM-Gerät. Wäre aber gut gewesen, wenn das Gerät im Video mal in Betrieb gewesen wäre. Es sollte schon ein gewisser Anspruch sein, die ehrwürdigen Geräte betriebsfähig zu halten und das zu zeigen, so wie viele Museen es tun. Ich war begeistert von meinem Besuch im HNF. Wolfgang Nake

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