Sachen, Sätze und Symbole

Geschrieben am 19.04.2024 von

Smileys und Emojis heitern uns am Computer auf, Piktogramme helfen uns durch die Welt. Neben Gefühlen und Begriffen lassen sich auch Aussagen grafisch darstellen. 1949 erfand der in Australien lebende Charles Bliss eine Bilderschrift, ihre Zeichen wurden später Bliss-Symbole genannt. Der japanische Grafiker Yukio Oto schuf 1964 die Sprache LoCoS, die in ähnlicher Weise funktionierte.

Der Fachausdruck lautet Pasigraphie. Die Wikipedia nennt so eine Schrift, die Menschen unterschiedlicher Sprache verstehen. Das Wort wurde 1797 zuerst in Frankreich benutzt, in München entstand 1864 ein pasigraphischer Verein. Der in Starnberg lebende Korea-Experte Andre Eckardt legte 1951 die Sinnschrift Safo vor. Diese und andere Pasigraphien sind also künstlich geschaffene Systeme zur Kommunikation; sie können auf Zeichen, Worten, Tönen oder Bildern basieren.

Spannend ist der letzte Typ, denn aus der digitalen Welt kennen wir die Emoticons und die Emojis. Sie stehen meistens für sich allein, doch sie lassen sich aneinanderreihen, und man kann mit ihnen kleine Geschichten erzählen. Als Charles Bliss 1949 in Australien ebenfalls eine Symbolschrift vorlegte, wurde dort gerade ein Computer gebaut, der später auch Musik erzeugte. Bilder zeigte er jedoch keine an, und die Semantographie – so nannte Bliss seine Schöpfung – war für die Nutzung auf dem Papier oder auf der Tafel gedacht.

Bliss-Symbole für den Computer (links) und für die Rechenmaschine

Geboren wurde er 1897 als Karl Blitz in Czernowitz, dem heutigen Tscherniwzi in der Ukraine; damals gehörte die Stadt zu Österreich-Ungarn. Nach dem Ersten Weltkrieg studierte Blitz an der TH Wien und arbeitete für die Firma Telefunken. 1938 kam er ins Konzentrationslager, dank der Bemühungen seiner Frau wurde er 1939 freigelassen. Im Zweiten Weltkrieg lebte Charles Bliss, wie er sich nun nannte, im Ghetto von Shanghai. 1946 zog er mit seiner Frau nach Australien. 1949 brachte er drei Bände mit dem Titel „International Semantography“ heraus, die seine Schrift enthielten.

Sie stützt sich auf rund sechzig Zeichen, die zu 2.400 abgeleiteten Symbolen führen. Das ist eine kurze und das eine längere Zusammenfassung; hier findet sich eine Darstellung auf Deutsch. Diesen Band könnte man einen Sprachführer nennen. Das Internet Archive hält eine Vielzahl von Büchern, Broschüren und Zeitschriften bereit. Wer noch tiefer ins Thema einsteigen möchte, sollte das „Handbuch der BLISS-Symbole“ studieren, das 1995 erschien. Es liegt in Bibliotheken vor und kann hier erworben werden, siehe PDF-Seite 18.

Bliss-Aussage „Ich möchte ins Kino gehen“ – die beiden Häkchen kennzeichnen Verben.

1974 entstand ein Film mit Charles Bliss. Er schildert den Einsatz seiner Erfindung in der Sonderpädagogik; das geschah in den frühen 1970er-Jahren in Kanada. „Mr. Symbol Man“ starb 1985 in seinem Wohnort Sydney. Sein Nachlass ist sehr versteckt online, es lässt sich sicher noch einiges erforschen. Heute hat der internationale Bliss-Verband seine Zentrale in Schweden. Wen es interessiert: Ein Computer wird blissologisch mit dem Zeichen für eine Maschine – ein Kreis und darin ein zweiter mit einem Kreuzchen – und einem Halbkreis ausgedrückt. Letzterer steht für den menschlichen Verstand.

Unser zweites Symbolsystem heißt LoCoS – bitte das große S beachten. Der Name erinnert an den altgriechischen Logos, er ist zudem ein Kürzel für „Lovers Communication System“. Sein Erfinder Yukio Ota wurde 1939 in der japanischen Präfektur Aichi geboren. Er studierte Design in seiner Heimat und in Italien, später lehrte er an Kunsthochschulen in Tokio. Otas bekannteste Schöpfung dürfte der Running Man sein, der sich in der ganzen Welt als Rettungszeichen verbreitete.

Zwei LoCoS-Sätze: „Wir müssen in die Kirche gehen“ – die beiden Punkte bedeuten „Wir“ – und „Du und ich sahen einen schönen Regenbogen“: Das Zeichen vor dem Auge markiert die Vergangenheitsform.  (Bild Yukio Ota CC BY-SA 3.0 DEED Textzeilen wurden entfernt)

1964 erfand Ota sein Kommunikationssystem. 1972 stellte er es auf einer Tagung in Wien vor, publiziert hat er es 1973 in einem Buch und in Zeitschriften. In Heft 2/1973 brachte „Bild der Wissenschaft“ seinen Artikel „LoCoS – Experimente mit der Bildersprache“. Die Sprache der Verliebten nutzt 19 Grundformen, die kombiniert und weiter spezifiziert werden; ein sehr wichtiges Element ist das oben offene Herz, das Seelenzustände ausdrückt. Details stehen hier und hier. Sowohl die Bliss- als auch die LoCoS-Zeichen lassen sich zu Sätzen aufreihen, bei LoCoS kann das in drei Reihen geschehen.

In den 2000er-Jahren warb der Designer Aaron Marcus vom kalifornischen Berkeley aus für LoCoS, so sah seine Website aus. LoCoS-Freunde saßen ebenso im Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Rostock. In den Neunzigern schuf Timothee Ingen-Housz – er lehrt an der Berliner Universität der Künste – die Zeichenschrift Elephant’s Memory. In den Corona-Zeiten war in Düren und Freiburg die Ausstellung „Piktogramme, Lebenszeichen, Emojis: Die Gesellschaft der Zeichen“ zu sehen. Sie hatte vermutlich wenig Besucher, aber es existiert noch der Katalog.

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