So wurde das Fernsehen privat

Geschrieben am 02.01.2024 von

Zu Weihnachten 1952 begann in West- und Ostdeutschland das öffentlich-rechtliche bzw. staatliche Fernsehen. Am Neujahrstag 1984 legte in Ludwigshafen am Rhein das private los. 1.200 Haushalte sahen die ersten Sendungen des Kabelpilotprojekts; daran wirkten auch kommerzielle TV-Anbieter mit. Aus einem von ihnen, der Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk PKS, entstand Anfang 1985 der Kanal Sat.1.

Laut SPIEGEL startete das deutsche Privatfernsehen am 1. Januar 1984 um 9.45 Uhr. Im Offenen Kanal des Ludwigshafener Kabelpilotprojekts erschien ein Rückblick auf jenes Jahr. Er sparte nicht mit Orwell-Zitaten und sagte die Abschaffung des Kabel-TVs voraus. Ab 10.28 Uhr sendete die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk PKS und stürzte gleich ab. Um 10.30 Uhr stand aber die Technik. Die ersten Minuten der PKS-Premiere sind auf YouTube überliefert.

So wurde vor vierzig Jahren eine neue Fernseh-Ära eingeläutet. Das Projekt in Ludwigshafen war Teil des Mega-Unternehmens Neue Medien. Dieses lief seit den Siebzigern und vereinte Videotechnik, Verkabelung und Satellitenempfang mit der Gründung von Medienfirmen und der Revision der Rundfunkgesetze. Das erste deutsche Privatfernsehen scheiterte 1961 noch vor dem Bundesverfassungsgericht, das von Ludwigshafen basierte auf einem Gesetz des Landes Rheinland-Pfalz. Die Aufsicht oblag der Anstalt für Kabelkommunikation AKK.

Wer sich in Ludwigshafen und Umgebung verkabeln ließ, erhielt Zugriff auf neunzehn TV- und 23 Radio-Programme. Später kamen weitere hinzu. Der Großteil des Fernsehangebots stammte aus öffentlich-rechtlichen Quellen. Drei Kanäle wurden aus Frankreich zugeleitet, der englische Sky Channel vom Satelliten ECS-1 gebeamt, auch bekannt als Eutelsat I-F1. Flaggschiff der privaten Kanäle war die PKS, die mit dem Otto-Maier-Verlag, der FAZ und anderen Zeitungen zusammenarbeitete. Das ist eine Übersicht über den ersten Sendetag.

Die Zuschauer zahlten für den Empfang einmalig 125 DM sowie, falls erforderlich, mehrere hundert DM technische Kosten. Die Fernsehgebühr mussten sie ebenfalls entrichten. Die 1.200 Haushalte des Kabelpilotprojekts wuchsen im März 1984 auf 2.600 an, 1986 waren es 78.000. Am 31. Dezember 1986 endete der Test. Hier geht es zu einem Resümee, das der Südwestfunk ausstrahlte. Die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk existierte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr; sie nannte sich am 1. Januar 1985 in Sat.1 um.

Der Berliner Fesselballon am Finanzministerium führte eine Zeitlang die Sat.1-Farben.

In München gab es vom 1. April 1984 bis zum 31. Dezember 1985 ein Pilotprojekt ähnlich dem in Ludwigshafen. Es umfasste siebzehn Fernsehkanäle, angeschlossen waren aber nur 8.800 Wohnungen. Am 1. Januar 1985 folgte der „Modellversuch mit Breitbandkabel“ in Dortmund. Er verteilte 21 TV-Programme an 10.000 Haushalte und endete am 31. Mai 1988. Die Rekordzahl von 468.000 Haushalten nahm am Berliner Versuch teil. Ab dem 28. August 1985 erhielten sie fünf Jahre lang achtzehn Fernsehprogramme. Unser Eingangsbild zeigt ein Bedienpult aus der Projektzentrale; es steht heute im Deutschen Technikmuseum.

Zurück ins Jahr 1984. Ein Tag nach dem Start des Kabelpilotprojekts Ludwigshafen ging im luxemburgischen Düdelingen RTL plus auf Sendung. Das Programm richtete sich zunächst an Zuschauer in Südwestdeutschland, die es mit der Hausantenne empfingen. 1985 besaß RTL plus einen Platz auf dem Eutelsat und wurde in die vier Kabelpilotprojekte eingespeist. 1988 zog der Sender nach Köln um. Dort entwickelte er sich zum Aushängeschild des bundesdeutschen Privatfernsehens; zwei Worte sollen genügen: Tutti Frutti

Das Ruf des Mediums in der Öffentlichkeit war, sagen wir, uneinheitlich. Der SPIEGEL ritt im September 1984 eine furiose Attacke gegen die Verkabelung, im Mai 1986 sah er das private Fernsehen positiver. Zwei Jahre später sendete das SPIEGEL TV Magazin bei RTL plus. So ändern sich die Zeiten. Aus dem Jahr 1985 fanden wir eine ziemlich kritische Betrachtung vom öffentlich-rechtlichen Ratgeber Technik und eine freundliche von der Wochenschau; sie besuchte damals die Funkausstellung in Berlin.

Nicht vergessen wollen wir die geostationären Satelliten, ein unverzichtbares Element des Kabelfernsehens. Wie dieser Film zum 3sat-Kanal zeigt, schickten sie die Programme in die Kabelkopfstationen; von dort flossen sie in die TV-Netze. Technik-Fans holten das Signal aus dem All mit kleinen Parabol-Antennen auf ihre Fernseher, was die Post gar nicht mochte. 1989 installierte sie den direkt empfangbaren Satelliten TV-SAT 2. Er nutzte die Sendenorm D2-MAC, die aber die Zuschauer nicht akzeptierten. Sie peilten lieber den Astra 1A an, der öffentlich-rechtliche und private Sender im guten alten PAL-Standard ausstrahlte.

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Ein Kommentar auf “So wurde das Fernsehen privat”

  1. Ray sagt:

    1983/84 habe ich als studentische Hilfskraft in einem Reisebüro gejobt. Wir teilten uns das Büro mit einer Werbeagentur. Eines Tages kam jemand aus der Agentur und erzählte, dass beim Kabelfernsehprojekt Ludwigshafen Probesendungen produziert würden. Ob ich da nicht als Experte auftreten wolle. Die Bahnfahrt werde bezahlt, es gäbe auch ein Honorar.
    Das war das Ergebnis: https://youtu.be/QTS2FSrDKZE?si=fWnOgG2bu_hlMo_o

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