Vor 200 Jahren: Die Hieroglyphen werden lesbar

Geschrieben am 27.09.2022 von

Die Hieroglyphen sind bis heute das bekannteste Schriftsystem des alten Ägyptens. In Gebrauch waren sie vom Ende des 4. Jahrtausends vor Christus bis zur Römerzeit. Am 27. September 1822 trug der Philologe Jean-François Champollion in Paris erste Ergebnisse seiner Entschlüsselung vor. Im Jahr 1824 veröffentlichte er eine längere Arbeit und begründete die Wissenschaft der Ägyptologie.

Im ersten Obergeschoss des HNF liegt der Bereich zur Kryptologie. Er beschäftigt sich mit Methoden und Maschinen zum Chiffrieren, aber auch mit dem Entschlüsseln alter Schriften. Die Ausstellungswand dazu – siehe oben – enthält ein Foto des Steins von Rosette oder Raschid, wie der ägyptische Name des Fundorts lautet. Er wurde 1799 beim Feldzug Napoleons entdeckt. 1801 erbeuteten die Engländer den Stein, seit 1802 zeigt ihn das Britische Museum in London.

Der Rosette-Stein entstand 196 vor Christus. Er trägt ein Dekret von Pharao Ptolemaios V. – dessen Vorfahren aus Europa stammten – in drei Sprachen. Der untere Teil enthält 54 Zeilen auf Altgriechisch; darüber stehen 32 Zeilen in demotischer Sprache und Schrift. Das Demotische war die Umgangssprache in Ägypten seit dem 7. vorchristlichen Jahrhundert. Der stark beschädigte obere Teil drückt die Botschaft mit Hieroglyphen aus. Sie kamen um das Jahr 3.000 vor Christus auf. Zu Ptolemaios‘ Zeiten wurden sie noch für religiöse oder repräsentative Texte verwendet.

Jean-François Champollion, gemalt 1831 von Léon Cogniet

Vor zwei Jahrhunderten half der Stein aus Raschid einem Wissenschaftler, die Zeichen zu lesen. Jean-François Champollion wurde am 23. Dezember 1790 in Figeac im Südwesten Frankreichs geboren; der Vater war Buchhändler. 1801 zog er zu seinem älteren Bruder Jacques-Joseph nach Grenoble. Er entwickelte eine Leidenschaft für alte Sprachen und erlernte mehrere, dazu Koptisch und Arabisch. Von 1807 bis 1809 studierte Champollion in Paris, ab 1810 lehrte er Geschichte an der neu gegründeten Universität von Grenoble. Ab 1818 beschäftigte er sich intensiv mit dem Entschlüsseln der Hieroglyphen.

Champollion hatte wie viele seiner Landsleute die Liebe zum Land am Nil gepackt. Die Ägyptomanie war eine Folge der Napoleonischen Militäraktion. Diese endete 1801 mit der Niederlage gegen englische Truppen, sie brachte aber wissenschaftliche Erträge. Dazu gehörte der Stein von Rosette. Der französische Orientalist Silvestre de Sacy konnte früh einige Namen im demotischen Text lesen, der Schwede Johan David Åkerblad stellte ein demotisches Alphabet zusammen. In den 1810er-Jahren entdeckte der englische Gelehrte Thomas Young im Hieroglyphenteil das Zeichen für Ptolemaios.

Auch Champollion stützte sich bei seiner Entzifferung auf die Herrschernamen. Er wusste, dass sie im Text durch längliche Ovale eingerahmt wurden, die Kartuschen. Der Franzose analysierte die Ptolemaios-Ovale sowie Kartuschen des 1815 entdeckten Philae-Obelisken. Er trug zwei Inschriften in altgriechischer und in Hieroglyphenschrift mit ähnlichen Inhalten. Die Kartuschen des ägyptischen Teils enthielten die Worte Ptolemaios und Cleopatra; hier war nicht die Freundin von Julius Caesar gemeint, sondern eine frühere Königin, die ebenso hieß.

Ein Ausschnitt aus dem Stein von Rosette. Die oberste Zeile enthält drei Kartuschen mit dem Namen Ptolemaios, zweimal in kurzer und einmal in langer Form.

Mit seiner Arbeit deckte Champollion die Grundprinzipien der Hieroglyphen auf. Es handelt sich, kurz gesagt, um eine Bilderschrift, die sowohl Laute als auch Begriffe ausdrückt und Hinweise zu Lesarten gibt. Seine Erkenntnisse verlas der Forscher am 27. September 1822 vor der Akademie der Inschriften und der schönen Literatur in Paris. In Form eines Briefs an den Sekretär der Akademie, Bon Joseph Dacier, brachte er sie außerdem zu Papier. 1824 veröffentlichte Champollion sein wissenschaftliches Hauptwerk, den „Précis du système hiéroglyphique des anciens égyptiens“.

Ab 1822 wurde Champollion durch den einflussreichen Aristokraten Pierre-Louis de Blacas d’Aulps gefördert. So konnte er für weitere Forschungen nach Italien fahren. 1826 übernahm er die Leitung der Ägypten-Abteilung des Louvre; 1828 und 1829 bereiste er Ägypten selbst. Champollion besaß stets eine schwache Gesundheit; am 4. März 1832 starb er mit 41 Jahren durch einen Schlaganfall. Sein Bruder Jacques-Joseph Champollion gab die hinterlassenen Schriften heraus. Zum runden Jubiläum der Hieroglyphen-Entzifferung produzierte ARTE einen schönen Film über beide Champollions.

Es dauerte einige Zeit, bis alle Altertumsforscher Jean-François Champollions Resultate akzeptierten. Aber schon im 19. Jahrhundert fanden Philologen die hinter den Hieroglyphen stehenden Wortbedeutungen und rekonstruierten die altägyptische Sprache. Heute gilt Champollion als Begründer der Ägyptologie. Nach seinem Geniestreich wurden andere alte Schriften entziffert, etwa die Keilschrift oder die der Maya. Für alle, die auf Champollions Spuren wandeln möchten: Noch nicht entschlüsselt sind die Linear-A-Schrift und die geheimnisvollen Zeichen der Osterinsel.

Die Ägypten-Vitrine des HNF im ersten Obergeschoss. Hinter der Scheibe befindet sich eine Statue des Schreibers Henka; das Original entstand im dritten Jahrtausend vor Christus. In der Schublade liegt eine Kopie aus einem altägyptischen Totenbuch.

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