Wie der Computer nach China kam

Geschrieben am 08.12.2020 von

Heute ist die Volksrepublik China eine Großmacht in der Computerwelt. Das Land begann aber erst spät mit dem Bau von Elektronenhirnen. 1958 lief in Peking der „1. August“; er war eine Kopie des russischen Rechners M-3. 1960 arbeitete ein allein von chinesischen Forschern geschaffener Computer, der Röhrenrechner „107“. Die Zentraleinheit entwickelte die Ingenieurin Xia Peisu.

Am Anfang stand wie so oft IBM. 1932 gelangten Lochkartenmaschinen der Firma in die chinesische Stadt Nanking. Dort halfen sie wahrscheinlich beim Erstellen von medizinischen Statistiken. Im Dezember 1937 eroberten japanische Truppen im Zuge des Chinesisch-Japanischen Krieges die Stadt. Das Schicksal der IBM-Maschinen ist unbekannt.

1954 wurden in Peking die ersten Computer gezeigt; es handelte sich um drei sowjetische Analogrechner. 1956 erfolgte in der Hauptstadt der Start des noch provisorischen Instituts für Rechentechnik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften; offiziell gegründet wurde es erst 1959. Ende 1957 kam es zu einem Abkommen zwischen der Sowjetischen und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften über künftige Zusammenarbeit. Studenten aus China konnten nun in der UdSSR die Grundlagen des Computerbaus erlernen.

Dieses chinesische Poster lobte 1958 die Erfolge der UdSSR in Wissenschaft und Technik. (Foto Kent Wang CC BY-SA 2.0)

Nach Abschluss des Abkommens schickten die Sowjets die Schaltpläne des Rechners M-3. Er enthielt 800 Röhren, 2.000 Dioden und eine Magnettrommel für 1.024 Worte zu 32 Bit. Die 738. Fabrik in Peking stellte im September 1958 einen Nachbau namens 1. August fertig: Das war der Gründungstag der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Die Kopie war schneller als das Original. Die Chinesen fügten einen Kernspeicher, einen Lochstreifenleser und einen Drucker hinzu; der M-3 hatte einen Fernschreiber. Die Serienversion des 1. August hieß 103.

Wo ein 103 läuft, ist ein 104 nicht fern, und er erschien im September 1959. Der chinesische Computer basierte auf dem russischen Großrechner BESM-II. Im 104 steckten 5.000 Röhren, zwei Magnettrommeln und ein Kernspeicher; außerdem war noch ein Magnetband-Laufwerk angeschlossen. Die Wortlänge betrug 39 Bit und die Zugriffzeit zehn Mikrosekunden. Der Computer erledigte im Durchschnitt 10.000 Operationen pro Sekunde. Bei der Konstruktion der beiden Systeme halfen sowjetische Experten.

1960 endeten allerdings die freundschaftlichen Beziehungen der zwei kommunistischen Großmächte. Gemeinsame technische Unternehmungen wurden gestoppt. Die sowjetischen Computerexperten kehrten in die Heimat zurück. Ihre chinesischen Kollegen hatten aber schon vorher begonnen, einen eigenen Entwurf zu realisieren. Das war der Röhrenrechner 107; er nahm im April 1960 den Betrieb auf. Viel wissen wir nicht über ihn, bekannt ist jedoch, dass seine Zentraleinheit von einer Frau entwickelt wurde: Xia Peisu. („Xia“ ist der Familien- und „Peisu“ der Vorname.)

Xia Peisu als junge Studentin 1946 in Chongquin

Geboren wurde Xia Peisu am 28. Juli 1923 in Chongquin – früher Tschungking genannt – am Jangtsekiang; ihre Eltern waren Lehrer. Sie besuchte das Gymnasium; von 1940 bis 1947 studierte sie Elektrotechnik in ihrer Heimatstadt. 1947 setzte sie das Studium in Europa fort. Im schottischen Edinburgh machte sie ihren Doktor in Ingenieurwissenschaften, außerdem heiratete sie. Mit ihrem Ehemann, dem Physiker Yang Liming, kehrte sie 1951 nach China zurück. In Peking erhielt sie eine Stelle in der Tsinghua-Universität.

Hier befasste sich Xia Peisu schon mit digitaler Elektronik. Ab 1956 arbeitete sie im noch unfertigen Institut für Rechentechnik. Wie es scheint, war sie für die Ausbildung zuständig, sie schrieb ein Lehrbuch und gab Fachzeitschriften heraus. Sie fand aber auch Zeit, beim Bau des oben erwähnten Computers 107 mitzuwirken. In den 1980er-Jahren befasste sie sich mit Vektorprozessoren und Parallelverarbeitung. 1991 wurden sie und ihr Ehemann in die Akademie der Wissenschaften gewählt. Das ist ein Foto aus ihren späteren Jahren.

Xia Peisu starb am 27. August 2014 in Peking; sie gilt als die Mutter der Informatik in China, nach der ein Preis für Informatikerinnen benannt ist. Den Beginn der chinesischen Computergeschichte beleuchtet ausführlich ein Artikel von 2007. Hier ist – in englischer Sprache – ein russischer Blick aufs Thema. Die moderne Computerzeit begann in Peking im Jahr 1965 mit dem transistorbestückten System 109B. Das zweite China auf der Insel Taiwan erhielt 1962 die erste elektronische Rechenanlange. Sie kam natürlich von IBM.

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Ein Kommentar auf “Wie der Computer nach China kam”

  1. Gabriele Sowada sagt:

    Danke! Spannend!

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