Wie der Ton in den Film kam

Geschrieben am 16.09.2022 von

Vor hundert Jahren, am 17. September 1922, wurde in einem Berliner Kino der erste längere Tonfilm gezeigt. Er bestand aus kürzeren Beiträgen; der Filmstreifen enthielt auch die akustische Information. Das Verfahren trug den Namen Tri-Ergon und stammte von den drei Erfindern Joseph Engl, Joseph Massolle und Hans Vogt. Ihre Technik ist eine Grundlage des Lichttonfilms.

Nein, es waren noch nicht die goldenen zwanziger Jahre. Am 24. Juni 1922 fiel der deutsche Außenminister Walter Rathenau einem Mordanschlag zum Opfer, im Juli wurde der bekannte Journalist Maximilian Harden überfallen und schwer verletzt. Das Geld verlor an Wert; im Herbst kostete ein Dollar 4.000 Mark. Die junge Weimarer Republik tröstete sich mit Kunst, Kultur und Wissenschaft. Am 18. September 1922 begann in Leipzig die Hundertjahrfeier der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte.

Einen Tag vorher, am 17. September 1922, kam es in Berlin zu einem technischen Triumph. Im Alhambra-Kino am Kurfürstendamm begann um 11 Uhr eine Vorführung von Tonfilmen nach dem Tri-Ergon-System. Der griechische Name steht für drei Kräfte oder besser drei Köpfe: Joseph Engl, Joseph Massolle und Hans Vogt. Sie gründeten 1919 in Berlin-Wilmersdorf ein Laboratorium für Kinematographie; bei der Finanzierung half die C. Lorenz AG. Ziel des Labors war ein Verfahren, das Bilder und Töne auf einem einzigen Filmstreifen vereinte.

Das Berliner Alhambra-Kino

Joseph Engl wurde 1893 als Sohn eines Illustrators in München geboren. Er studierte dort Mathematik und Physik; 1917 machte er den Doktor in der Universität Göttingen. Joseph Massolle kam 1889 in Bielefeld zur Welt; sein Vater war Schneider. Massolle erlernte das Schlosserhandwerk; von 1907 bis 1918 diente er in der Marine und wurde ein Experte für Funktechnik. Die gleiche Karriere absolvierte der 1890 in Wurlitz geborene Hans Vogt. Der Ort liegt in der Oberpfalz nahe Hof. Er hat nichts mit Kino-Orgeln oder Musikboxen zu tun; der Gründer der Firma Wurlitzer stammte aus dem benachbarten Vogtland.

Schon bald nach Erfindung des Films arbeiteten Forscher an Verfahren, um Töne in Licht umzuwandeln und auf dem Filmstreifen festzuhalten. Der erste war um 1900 der deutsche Physiker Ernst Ruhmer mit seinem Photographophon. Anfang 1914 führte der „finnische Edison“ Eric Tigerstedt sein Konzept im kleinen Kreise in Berlin vor. Am 17. Februar 1921 zeigte der Schwede Sven Berglund einen Kurzfilm mit Lichtton in Stockholm, am 9. Juni 1922 demonstrierte der polnische Ingenieur Józef Tykociński-Tykociner sein Verfahren in der Universität des US-Bundesstaats Illinois.

Ton-Fixierungen zwischen Perforation und Filmbild: Sprossenschrift (links) und Zackenschrift (Foto Iainf CC BY 2.5 seitlich beschnitten)

Joseph Engl, Joseph Massolle und Hans Vogt haben die Arbeit der Konkurrenten sicher verfolgt. Sie trafen auch den amerikanischen Elektronikpionier Lee de Forest, der von Oktober 1921 bis September 1922 in Berlin wohnte und an seinem System Phonofilm arbeitete. Das Tri-Ergon-Trio nahm sich die Zeit, die Lichtton-Technik neu zu erfinden und alle Bestandteile aufeinander abzustimmen. Technisch handelte sich um eine Anwendung der Sprossenschrift. Am 26. Februar 1921 gelang ein erster Test, die Filmaufnahme einer Rezitation von Goethes Gedicht vom Heideröslein.

Die Premiere des Systems fand am 17. September 1922 im Alhambra-Kino statt. Sie dauerte eine Stunde, hatte rund tausend Zuschauer – und zugleich Zuhörer – und war ein voller Erfolg. Engl, Massolle und Vogt kombinierten Sprach-, Geräusch-, Gesangs- und Musikbeiträge mit dem Einakter „Der Brandstifter“, in dem drei Personen auftraten. Wie es scheint, blieb von jener Vorführung nichts Filmisches erhalten. Online ist die Kritik des „Berliner Tageblatts“: Bitte Seite 5 aufblättern. Leider ging die linke Kante des Artikels verloren, doch wird klar, was damals in Berlin geschah.

Zackenschrift bei einem 16-mm-Film. Die Tonspur wird im Projektor in einigem Abstand vom Bild und bei konstanter Geschwindigkeit des Filmstreifens gelesen.

Nach dem erfolgreichen Tonfilm-Start passierte lange Zeit wenig. 1923 verkauften die drei Erfinder ihre Patente in die Schweiz. 1924 lief ein neuer Tri-Ergon-Kurzfilm „Ein Tag auf dem Bauernhof“ in Deutschland an. 1925 legte sich das große Ufa-Studio eine Tri-Ergon-Abteilung zu; ihr Erstling war „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Die Uraufführung im Dezember 1925 in Berlin misslang völlig, worauf sich die Ufa aus dem Geschäft zurückzog. Das Tonfilm-Zeitalter begann zwei Jahre später in Amerika mit dem Jazz Singer und dem Schallplatten-basierten Vitaphone-Verfahren.

Am Ende setzte sich der Lichtton durch. In den USA wurde ab 1928 Vitaphone durch die Systeme Movietone und Photophone verdrängt; letzteres stieg zum Standard auf. Bei uns bildete sich ab 1927 das Tonbild-Syndikat Tobis, in das Tri-Ergon-Patente sowie neue Techniken von AEG und Siemens eingingen. Beteiligt waren Schweizer und niederländische Unternehmen. 1930 einigten sich amerikanische und europäische Firmen im Pariser Tonfilmfrieden. Die ersten Tobis-Streifen liefen 1929 in deutschen Kinos, zum Beispiel Melodie der Welt. Er enthielt nur kurze Dialoge, die mit der Zeit aber länger wurden.

Erster Welterfolg des deutschen Tonfilms: „Der blaue Engel“ (1930) mit Marlene Dietrich

Was wurde aus dem Erfinder-Trio? Joseph Engl arbeitete ab 1923 für die Tri-Ergon AG in Zürich und ab 1929 für die Filmgesellschaft Fox. 1939 wanderte er nach New York aus, wo er 1942 starb. Joseph Massolle ging zur Ufa und leitete bis 1945 die Ton-Abteilung; er verstarb 1957 in Berlin. Hans Vogt betrieb ab 1927 ein eigenes Labor; 1934 gründete er eine Firma für Rundfunktechnik. Im Zweiten Weltkrieg zog er nach Bayern um; 1976 entstand über ihn ein längerer TV-Bericht. Drei Jahre später starb Vogt in seinem Wohnort Erlau bei Passau.

Die Erinnerung an Tri-Ergon hält die gleichnamige Stiftung in Bielefeld u.a. mit einem sehenswerten Museum wach. Unser Eingangsbild zeigt Kameramänner der australischen Movietone-Wochenschau im Jahr 1938. Sie benutzte ein Tri-Ergon-ähnliches System. Das ist ein amerikanischer und das ein neuerer deutscher Film zur Lichtton-Geschichte. Nun bleibt uns nur noch Der Schuß im Tonfilmatelier.

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