110 Jahre IBM

Geschrieben am 15.06.2021 von

Am 16. Juni 1911 erfolgte in der amerikanischen Stadt Endicott die Gründung der  Computing-Tabulating-Recording Company, abgekürzt CTR. Sie vereinte vier Firmen, von denen drei Waagen,  Uhren und Addiermaschinen herstellten. Die vierte gehörte dem Lochkartenpionier Herman Hollerith. Sie wurde zum wichtigsten Mitglied des Konzerns. 1924 nahm die CTR einen neuen und heute weltbekannten Namen an: IBM 

Im Jahr 1911 hatten die USA knapp 94 Millionen Einwohner, die gut 600.000 Autos fuhren, viele mit Elektromotor. Hin und wieder knatterten Flugzeuge über den Himmel. Wer sich für Politik interessierte, glaubte an den Fortschritt und die Verbesserung der Gesellschaft durch Reformen. Im Weißen Haus saß der Republikaner William Howard Taft, der Wirtschaft ging es gut, und die Zeiten waren friedlich, abgesehen von revolutionären Wirren im benachbarten Mexiko.

Charles Flint, Gründer der Computing-Tabulating-Recording Company

Am 16. Juni 1911 fand in Endicott – die Stadt liegt 230 Kilometer nordwestlich von New York – eine Firmengründung statt. Vier Unternehmen fusionierten zu einem neuen, der Computing-Tabulating-Recording Company oder CTR. Aus Endicott kamen die Bundy Manufacturing Company, die Addiermaschinen baute, und die International Time Recording Company. Sie fertigte Stechuhren und andere Zeiterfassungsgeräte; der Zweck war stets die Messung und Dokumentation der Stunden, die Arbeiter und Arbeiterinnen in der Fabrik zubrachten.

Dritter im Bunde war die Computing Scale Company of America. Sie vereinte vier Hersteller aus den Bundesstaaten Ohio und Indiana sowie den Städten Chicago und Detroit. Alle produzierten preisrechnende Waagen, manchmal Kaufmannswaagen genannt. Während gewöhnliche Waagen nur das Gewicht ermittelten, zeigten die rechnenden ebenso den Preis der Ware an. Ältere Leser erinnern sich vielleicht an die Skalen auf Zeigerwaagen, die solche Kalkulationen ermöglichten. Die amerikanischen Scales besaßen spezielle Mechanismen.

Produkte der CTR: oben erkennt man die Zeitmesser, rechts die Waagen. Links unten stehen die Lochkarten-Geräte.

Das vierte und letzte CRT-Mitglied war in Washington tätig. Seit dem 3. Dezember 1896 baute die Tabulating Machine Company dort Lochkartenmaschinen nach den Ideen von Herman Hollerith. Zu ihnen gehörten die grundlegenden Modelle zum Perforieren, Sortieren und Tabellieren von Karten; mit der Zeit stellten sich weitere Typen ein. Der Locher in unserem Eingangsbild wurde 1923 eingeführt; ähnliche Geräte gab es auch schon 1911. Sie wiesen allerdings keine Elektromechanik auf, sondern lochten nur mit der Kraft der Finger.

Der Initiator der CTR-Gründung hieß Charles Flint. Geboren 1850 im US-Staat Maine war er der Sohn eines Reeders und Schiffbauers. 1858 zog die Familie ins damals eigenständige Brooklyn, wo Flint eine technische Fachschule besuchte. Ab 1872 arbeitete er für die Logistik-Abteilung der noch existierenden Firma W. R. Grace, teils in New York und teils in Südamerika. Er lernte weitere Branchen kennen und zeigte Organisationstalent; daneben führte er politische Aufträge aus. 1886 trat er in ein Unternehmen seines Vaters ein.

Ein Blick in die Hollerith-Abteilung der CTR. Das Foto zeigt vermutlich Technikerinnen beim Überprüfen von Sortierern und Tabellierern.

Von 1891 an tat Charles Flint das, was ihn bekannt machte: das Zusammenführen von Firmen zu neuen geschäftlichen Einheiten. 1892 gründete er die United States Rubber Company, aus der später Uniroyal wurde. 1899 entstanden ein Kaugummi- und ein Textil-Konzern. Flint übernahm nie den Chefposten, sondern begnügte sich mit Sitzen im Aufsichtsrat. In der Freizeit widmete er sich dem Jagen, Angeln, Segeln, Fliegen und Autofahren; 1903 war seine Dampfyacht die schnellste der Welt. Der Vater der Trusts, wie ihn die Presse nannte, starb 1934 in Washington.

Die 1911 geschaffene Computing-Tabulating-Recording Company hatte insgesamt  1.300 Angestellte und war auf dem Papier 17,5 Millionen Dollar wert. Geschäftsführer wurde der 57 Jahre alte George Fairchild, der daneben einen Sitz im amerikanischen Kongress innehatte. Im ersten Jahr erwirtschaftete die CTR einen Gewinn von 541.000 Dollar, im zweiten wuchs er auf 635.000 Dollar. Der größte Teil kam von der Uhrenherstellung, doch verzeichnete die Lochkarten-Abteilung den schnellsten Zuwachs. Durch Vermietung der Maschinen blieb der Umsatz stabil.

Organigramm von 1917 der Tabulating Machine Company. Die Teilfirmen der CTR behielten zunächst ihre alten Namen. Links oben erscheint Charles Flint im „Board of Directors“. Bitte zum Vergrößern die Grafik anklicken.  (Bild Marcin Wichary CC BY 2.5)

1917 war die Lochkartentechnik der profitabelste Teil der Firma, die inzwischen 8,3 Millionen Dollar einnahm und 1,6 Millionen verdiente. Das ging vor allem auf den 1914 eingestellten neuen Chef zurück, den 1874 geborenen Thomas J. Watson. Er hatte sein Handwerk beim Registrierkassen-Hersteller NCR gelernt. Watsons patriarchalischer aber erfolgsorientierter Führungsstil führte zu einer besonderen Firmenkultur, die in der Aufforderung Think gipfelte. Die Bedeutung der Uhren und Waagen ging mit den Jahren immer weiter zurück.

1924 starb George Fairchild, der zuletzt Vorsitzender des Aufsichtsrats war. In jenem Jahr hatte die CTR einen Umsatz von elf Millionen Dollar und 3.384 Beschäftigte. Watson konnte nun frei schalten und walten. Er nannte die CTR in IBM um und gab das Ruder bis 1956 nicht aus der Hand. Die International Business Machines Corporation wurde unter seiner Führung zur größten Datenverarbeitungsfirma der Welt. 1929 verstarb auch Herman Hollerith. 1911 hatte ihm der Verkauf seines Unternehmens an Charles Flint mehr als eine Million Dollar eingebracht.

George Fairchild (links), Thomas J. Watson und Samuel Hastings (rechts), der Leiter der CTR-Waagenfirma im Jahr 1919 (Foto Computer History Museum)

Beim Start besaß die CTR zwei Partner, die ihre Produkte in Europa vermarkteten. In London saß seit 1902 die British Tabulating Machine Company und in Berlin die 1910 gegründete Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH. Beide Firmen entwickelten später auch eigene Lochkartengeräte. 1922 wurde die DEHOMAG zu einer echten Tochtergesellschaft; seit 1949 heißt sie IBM Deutschland GmbH. Was den erstaunlichen Nebeneffekt hatte, dass die Tochter ein Jahr älter als die Mutter ist.

1911 begann ein zweites Unternehmen der Datenverarbeitung seine Laufbahn. In Newark bei New York gründete der 1871 in Odessa geborene James Powers die Powers Tabulating Machine Company. Sie fertigte rein mechanische Lochkartengeräte; 1927 wurde sie vom Büromaschinenhersteller Remington Rand geschluckt. Der Name blieb erhalten, und die übermächtige IBM erhielt auf diese Weise wenigstens ein bisschen Konkurrenz. Das Foto unten zeigt aber ein Produkt aus einer Gründerfirma von Big Blue, das den Weg ins HNF fand. Die Kontrolluhr entstand in der International Time Recording Company.

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