200 Jahre Elektromagnetismus
Geschrieben am 21.07.2020 von HNF
Vor zwei Jahrhunderten waren schon die Gravitation, der Magnetismus und die Elektrizität bekannt. Dann entdeckte der dänische Physiker Hans Christian Oersted, dass die beiden letzten Kräfte zusammenhängen. Elektrischer Strom, der durch einen Draht fließt, kann eine Kompassnadel ablenken. Am 21. Juli 1820 veröffentlichte Oersted seine Erkenntnis. Es war der Beginn der Elektro- und der Schaltungstechnik.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte Dänemark eine kulturelle Blüte. Damals schrieb Hans Christian Andersen seine Märchen und Søren Kierkegaard philosophische Texte. Bertel Thorvaldsen belieferte ganz Europa mit seinen Skulpturen. Es zeichnete sich auch ein Wissenschaftler aus, dem vor 200 Jahren eine große Entdeckung gelang. Mit ihr begann die Elektrotechnik, die sich später in den ersten Computern auswirkte.
Hans Christian Oersted – in dänischer Schreibung Ørsted – wurde am 14. August 1777 auf der Ostseeinsel Langeland geboren; sein Vater war Apotheker. Der Dorfschullehrer kam aus Lübeck, und der kleine Hans lernte bei ihm die deutsche Sprache. Die väterliche Apotheke weckte dazu sein Interesse für Chemie. Von 1794 bis 1797 studierte er in der Hauptstadt Kopenhagen Naturwissenschaften und Pharmazie. 1799 promovierte Oersted mit einer Arbeit über den Philosophen Immanuel Kant.
Im neuen Jahrhundert verbrachte er drei Jahre in den Zentren der Wissenschaft; das waren vor allem Berlin und Paris. Oersted interessierte sich sehr für deutsche Naturphilosophie und für die junge Elektrizitätsforschung. Sie hatte durch die 1800 erfundene Voltasche Säule, die erste praktikable Batterie, einen großen Sprung nach vorn gemacht. Ab 1804 wohnte er wieder in Kopenhagen, 1806 lehrte er Physik und Chemie an der Universität. 1817 wurde Hans Christian Oersted ordentlicher Professor.
Im Winter 1819/20 hielt Oersted Vorlesungen über Elektrizität und Magnetismus. Dabei experimentierte er mit einem dünnen Draht, den er an die erwähnte Säule setzte. Er führte ihn über einen Kompass; als er den Stromkreis schloss, zitterte die Nadel. Er verfolgte den Effekt nicht weiter, im Sommer baute er aber einen neuen Versuch auf. Er nahm nun einen dickeren Draht und eine stärkere Batterie; sie umfasste einer Reihe Kupferzellen, in denen Zinkbleche hingen. Die Zellen war mit einem Elektrolyten gefüllt, einer wässrigen Säure.
Oersted lud einige Freunde als Zeugen des Versuchs in sein Labor ein. Er befestigte den Draht in Nord-Süd-Richtung und platzierte darunter eine drehbare Magnetnadel. Sie zeigte natürlich in die gleiche Richtung. Wenn durch den Draht ein Strom floss, dann wurde die Nadel sofort ausgelenkt. Unterbrach man den Strom, kehrte sie in die Nord-Süd-Richtung zurück. Das Experiment ist hier in moderner Form im Video zu sehen. Es lässt sich endlos variieren, was taten Oersted und seine Freunde vor zweihundert Jahren ebenfalls taten.
Am 21. Juli 1820 brachte Hans Christian Oersted die Beobachtungen zu Papier. Sein Aufsatz wurde auf Latein verfasst; der Titel lautete übersetzt: „Versuche über die Wirkung des elektrischen Konflikts auf die Magnetnadel“ Der Konflikt in der Überschrift entsprang Oersteds Philosophie der Elektrizität; wir würden heute nur Strom oder Stromfluss sagen. Der Physiker schickte den vierseitigen Text an die ihm bekannten Wissenschaftler und Naturphilosophen. Sein Experiment wurde an verschiedenen Orten in Europa wiederholt.
Am 19. August 1820 führte der Schweizer Chemiker Charles-Gaspard de la Rive den Versuch in Genf vor; dort sah ihn auch der französische Forscher François Arago. Er fuhr sofort nach Paris und berichtete darüber der Akademie der Wissenschaften. Am 11. September 1820 baute Arago das Experiment selbst auf und zeigte es seinen Kollegen. André-Marie Ampère entwickelte es weiter; er nahm statt des geraden einen schraubenförmig gewundenen Draht. Damit entdeckte er die Magnetisierbarkeit von Metall und erfand den Elektromagneten.
Die Taten der Forschergemeinde begründeten die Elektrodynamik und die Elektrotechnik. Sie bildeten auch die Basis der elektrischen Telegrafie und der Schaltungstechnik. In den 1850er-Jahren verbreitete sich ein wichtiges Schaltelement, das elektromagnetische Relais. Es ermöglichte im 20. Jahrhundert programmierbare Digitalrechner: 1941 lief Konrad Zuses Z3 in Berlin, 1944 arbeitete Howard Aikens Mark I in den USA. Die relaisbestückte Z11 der Zuse KG war 1956 der erste deutsche Computer, der in Serie ging.
Nach dem Erfolg von 1820 setzte Oersted seine Karriere fort. 1824 gelang es ihm, das Leichtmetall Aluminium in nahezu reiner Form darzustellen. 1829 wurde auf seine Initiative die Polytechnische Lehranstalt in Kopenhagen gegründete, deren Leitung er übernahm. Später erwuchs daraus Dänemarks Technische Universität, kurz DTU. 1850 brachte Hans Christian Oersted in deutscher Sprache sein Buch Der Geist in der Natur heraus. Er starb am 9. März 1851. Seinen Namen erhielten ein Mondkrater, ein Asteroid und Dänemarks erster Satellit. Ab 1930 war das Oersted die Maßeinheit der magnetischen Feldstärke.
Der vor 200 Jahren verfasste Aufsatz lässt sich hier auf Deutsch nachlesen. Mehr zum physikalischen Umfeld schrieben 1830 der Schotte David Brewster und 1963 James King von der Smithsonian Institution. Ihr verdanken wir einen Nachbau von Oersteds Versuch, der oben in unserem Eingangsbild zu sehen ist (Foto National Museum of American History, Smithsonian Institution). Das Gerät befindet sich im Depot des Nationalmuseums für amerikanische Geschichte in Washington.