Auf der Suche nach denkenden Maschinen

Geschrieben am 30.10.2018 von

Können Maschinen und besonders Computer denken? Wenn ja, können sie richtig denken, wie wir Menschen es tun, oder tun sie nur so? Und wenn nein, werden sie es irgendwann lernen? Über solche Fragen grübeln heute Forscher im Gebiet der Künstlichen Intelligenz nach. Die Verbindung zwischen Technik und Denkvermögen wurde aber schon im 18. Jahrhundert gezogen.

Sie sind älter als man denkt. 1789 erwähnte der deutsche Schriftsteller Jean Paul die erste in seinem Satirebuch Auswahl aus des Teufels Papieren. Er skizzierte dort den Sprech- und den Schachautomaten des Wolfgang von Kempelen – vom Schachtürken steht ein Nachbau im HNF. Am Ende seiner Erzählung empfahl Jean Paul dem österreichischen Erfinder noch den Bau von Denkmaschinen. Der Kontext macht klar, dass er eine technische Vorrichtung mit Verstand meinte.

Eine „thinking machine“ besichtigte 1833 Lady Byron, die Witwe des Dichters Lord Byron. Die Worte stammen aus einem ihrer Briefe. Erbauer der Denkmaschine war niemand anderes als der Mathematiker Charles Babbage. Es handelte sich um seine unvollendet gebliebene „Difference Engine“, den ersten Versuch eines automatischen Rechengeräts. Auch Lady Byrons Tochter Ada war bei der Besichtigung zugegen. Sie arbeitete später mit Babbage zusammen und wurde, wie man weiß, zur ersten Programmiererin.

Die erste wissenschaftliche Beschreibung von Denkmaschinen verdanken wir dem Österreicher Fritz Mauthner. 1910 nahm er sie in sein Philosophielexikon auf: Er nannte so hölzerne Apparaturen aus England und Amerika, die logische Schlüsse zogen. In analoger Weise verfuhr die Braunschweiger Firma Brunsviga. Sie warb mit dem Slogan „Gehirn von Stahl“ für ihre Rechenmaschinen. Es wurden also Inhalte des Bewusstseins wie Zahlen oder Wahrheitswerte auf mechanische Vorrichtungen übertragen und machten sie denkend.

Nach dem Zweiten Weltkrieg traten elektronische Computer ihren Siegeszug um die Welt an. Bezeichnungen wie Denkmaschinen und Elektronengehirne waren unausweichlich. Das erste populäre Buch über die neuen Rechengeräte erschien 1949 in den USA unter dem Titel Giant Brains. Etwa zur gleichen Zeit rollten die ersten kybernetischen Automaten los; ein schönes Beispiel war die Schildkröte von William Grey Walter im englischen Bristol. Laut Wochenschau funktionierte ihr elektronisches Gehirn wie der menschliche Verstand.

Der Schriftsteller Jean Paul (1763-1825) im Jahr 1798.

Stimmte das? Nicht wirklich. Allerdings brachte die Kybernetik einen deutschen Philosophen zu Überlegungen, ob eine Maschine ein Bewusstsein besitzen könnte. Das war der 1900 geborene und 1984 verstorbene Gotthard Günther. In den 1950er-Jahren publizierte er in amerikanischen Science-Fiction-Magazinen mehrere Artikel über denkende Computer. Ein Rezept zu ihrer Konstruktion verriet er leider nicht. Seine philosophischen Ideen harren noch der Wiederentdeckung und der praktischen Umsetzung.

Schon 1950 verfasste Alan Turing seinen berühmten Aufsatz über „Computing Machinery and Intelligence“. Der englische Computerpionier schaute nicht in die gigantischen Gehirne, sondern gab eine andere Verstandesprüfung an. In Textdialogen werden ein Mensch und ein Computer verglichen. Wenn es nicht gelingt, sie anhand ihrer sprachlichen Äußerungen zu entlarven, dann gilt der Rechner als denkfähig. Seit 1991 können sich Chat-Programme um den ähnlich formulierten Loebner-Preis bewerben; die Goldmedaille gewann bislang keines.

Alan Turings Imitationsspiel bleibt unbefriedigend, weil es nur eine möglichst gute Kopie eines Menschen verlangt. Aber könnte ein Computer oder eine andere technische Intelligenz nicht eine eigene, maschinelle Art des Denkens besitzen? Ein solches System wäre zunächst stumm und würde im Umgang mit Menschen oder mit anderen Systemen sprechen lernen. Voraussetzungen dafür wären eine auditive und eine optische Wahrnehmung, eine Anlage zur Lautproduktion sowie ein synthetisches Bewusstsein.

Eine realisierte Turing-Maschine mit ihrem Papierband. (Foto GabrielF CC BY-SA 3.0)

Niemand weiß, wie ein solches Bewusstsein aussieht. Sicher ist nur, dass kein Computer auf der Welt eines hat, was man leicht beweisen kann. Ein Computer lässt sich in eine Turing-Maschine umwandeln: Sie liefert für jeden Input den gleichen Output wie der Computer, wobei wir die Zeit vernachlässigen. Die Turing-Maschine umfasst aber nur ein gigantisches Papierband, auf dem sie Zeichen notiert oder wieder löscht, und sie befolgt eine lange Liste von Programmbefehlen. So etwas wie ein Bewusstsein hat keinen Platz.

Eine echte denkende Maschine benötigt also völlig neue Techniken, die man erst erfinden muss. Oder hat sie vielleicht schon jemand erfunden? Wenn man in der Datenbank des Patentamts nachschaut, stößt man auf mindestens drei Einträge. Am 17. Oktober 2003 meldete der Japaner Yuzuru Fujiwara ein europäisches Patent für eine „Learning/Thinking Machine“ an; sie verarbeitete sprachliche Konzepte. Gewährt wurde das Patent nicht; die Anmeldung erscheint nach Eintippen der Nummer EP1560158 oben in die Suchmaske.

Abschlägig beschieden wurde ebenso die Patentanmeldung DE102006056178A1. Der in Rostock lebende Jordan Petrow hatte 2006 ein „Verfahren und Gerät zur maschinellen Verarbeitung von Informationen“ erfunden. Es enthielt künstliche Nervenzellen, die Clions, sie entsprechen den menschlichen Gehirnzellen. Nach den Ausführungen des Anmelders stellen die Clions unabhängige Recheneinheiten dar, die miteinander vernetzt sind. Über ihre inneren Aufbau sagte Petrow nichts.

Der Ingenierprofessor und Linguist Wolfgang Hilberg

2013 wurde beim Deutschen Patentamt ein „Künstliches Gehirn“ eingereicht. Die Anmeldung DE102013014963A1 liest sich aber wie ein Zeitschriftenartikel, und es fehlen Patentansprüche; eine Patentierung ist deshalb unwahrscheinlich. Erfinder war der Ingenieurwissenschaftler Wolfgang Hilberg, geboren 1932 in Gießen. Nach dem Studium der Elektrotechnik war er im Forschungsinstitut von Telefunken tätig, wo er 1967 die Funkuhr erfand. Ab 1972 lehrte er an der Technischen Hochschule Darmstadt.

Ab den 1980er-Jahren befasste sich Hilberg mit Linguistik und Informationstheorie. Ihn interessierten vor allem die Worte, die in Texten direkt aufeinander folgen. Dazu verfasste er diverse Bücher und Artikel, außerdem betreute er Dissertationen seiner Studenten. All diese Untersuchungen bilden später die Basis für einen neuen Typ von neuronalen Netzen und eben für sein künstliches Gehirn. Er starb 2015. Hier ist ein Aufsatz von ihm, der ein Jahr vor seinem Tod in Druck erschien.

In der Patentliteratur haben wir also keine richtige Denkmaschine gefunden, doch was nicht ist, kann ja noch werden. Das Think-A-Tron aus unserem Eingangsbild hat natürlich kein künstliches Bewusstsein, sondern war nur ein Denk-Spiel aus dem Jahr 1960 (Foto: Jan Braun, HNF). Unser kleines Video zeigt die Bedienung. Wer mehr über die althergebrachte Künstliche Intelligenz wissen möchte, dem empfehlen wir die neue HNF-Abteilung „Mensch, Roboter!“.

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Ein Kommentar auf “Auf der Suche nach denkenden Maschinen”

  1. Sebastian sagt:

    Danke für eure Arbeit. Ich finde diesen Artikel „Auf der Suche nach denkenden Maschinen“ wirklich informativ und habe ihn mit Spannung gelesen. Macht weiter so.

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