Cambridge 1949: die erste Computertagung in Europa
Geschrieben am 21.06.2024 von HNF
Vom 22. bis zum 25. Juni 1949 fand im englischen Cambridge eine Konferenz über sehr schnelle automatische Rechengeräte statt. Es war die allererste Tagung über Computer in Europa. Rund 150 Forscher und Forscherinnen nahmen teil, darunter der Mathematiker Alwin Walther von der Technischen Hochschule Darmstadt. Am ersten Konferenztag wurde der Röhrenrechner EDSAC der Universität eingeweiht.
Vor 75 Jahren konnte man die Digitalcomputer Europas an den Fingern einer Hand abzählen. Im Allgäu stand Konrad Zuses Relaisrechner Z4, ein anderes Gerät mit der gleichen Technik lief in einem Forschungsinstitut bei London. Im Londoner Vorort Teddington ging die Pilot ACE ihrer Vollendung entgegen: sie besaß Elektronenröhren wie das 1948 fertiggestellte Manchester Baby. Am 6. Mai 1949 arbeitete in der Universität Cambridge der Röhrenrechner EDSAC.
Offiziell vorgestellt wurde EDSAC am 22. Juni 1949 zu Beginn einer Tagung, die sein Erbauer Maurice Wilkes leitete. Die „Conference on High Speed Automatic Calculating-Machines“ war die erste wissenschaftliche Veranstaltung in Europa, die sich der Informatik widmete; sie endete am 25. Juni. Die superschnelle automatische Rechenmaschine der Uni Cambridge schmückte das Titelblatt des Tagungsberichts, es ist oben in unserem Eingangsbild zu sehen (Copyright UKRI Science and Technology Facilities Council).
Einen Artikel zum EDSAC druckte im August 1949 die Wiener Zeitschrift Radiotechnik. Unsere Quelle zur zugehörigen Konferenz ist dieser Bericht; bitte den Cursor oben links auf „Further reading“ setzen, dann lassen sich die Vorträge aufrufen. An der Tagung nahmen etwa 150 Interessenten teil. Die meisten kamen aus England, vier waren aus den Niederlanden und zwei aus Schweden. Außerdem gab es einen Norweger, einen Franzosen – den Computerpionier Louis Couffignal – und Alwin Walther von der Technischen Hochschule Darmstadt. Amerikaner entdeckten wir nur zwei, Stephen Crandall und Harry Huskey.
An der Konferenz beteiligten sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus allen englischen Computerprojekten, darunter Alan Turing, der aus Manchester anreiste. Er war damals eher den Experten bekannt, von seiner Arbeit im Geheimdienst während des Krieges wussten nur frühere Kollegen. Ein aktiver Geheimdienstler, der zur Konferenz fuhr, war der Mathematiker Irving John Good. Die Tagung besuchte ebenso der in Österreich geborene und in Cambridge tätige Physiker Otto Frisch; er spielte eine kleine aber wichtige Rolle in der Frühgeschichte der Atombombe.
Der erste Veranstaltungstag widmete sich dem gerade fertig gewordenen EDSAC. Zu ihm sprachen der Mathematiker Douglas Hartree, EDSAC-Schöpfer Maurice Wilkes und sein Institutskollege William Renwick. Er war Ingenieur und führte den Computer vor; gezeigt wurden Programme für Quadrat- und Primzahlen. Der zweite Tag brachte Vorträge zu den Grundprinzipien der Digitaltechnik und über Relais- und Röhrenrechner. Louis Couffignal erläuterte in französischer Sprache seine Computerkonzepte, die er aber nie realisierte.
Der dritte Tag startete mit dem Beitrag von Alan Turing über die Prüfung von Programmen. Es folgten Referate zur Speichertechnik und zu Logik-Schaltkreisen. Am Nachmittag erfuhren die Teilnehmer mehr über Computer und Computerpläne in den USA, in den Niederlanden und in Schweden. Am letzten Tag schilderte der Mathematiker Tom Kilburn den Rechner der Universität Manchester, der aus dem „Manchester Baby“ hervorging. Damit schloss das Treffen; das Begleitbuch erhielt noch eine Literaturliste, die sogar Konrad Zuse nannte.
Die „Conference on High Speed Automatic Calculating-Machines“ war nicht die erste ihrer Art. 1945 und 1947 gab es ähnliche Tagungen in den USA. Im September 1949 richtete die Harvard-Universität ein Symposium über Großrechner aus, das mehr als siebenhundert Menschen anzog. Etwas kleinere Computer-Konferenzen organisierten 1951 die französische Forschungsorganisation CNRS und die Universität Manchester. Die erste deutsche Tagung zur Informatik lief im Juli 1952 in Aachen ab, sie dauerte aber nur einen Tag. Zu den Zuhörern gehörte der junge Heinz Nixdorf.
Offenbar haben von der Konferenz von 1949 in Cambridge keine Fotos oder Wochenschau-Clips überlebt. Wir verlinken deshalb einen 1951 gedrehten Film zum EDSAC; die Vorrede von Maurice Wilkes wurde 1976 aufgenommen. 1956 entstand ein Fernsehbericht, in dem der damals 58 Jahre alte Alwin Walther zu sehen und zu hören ist.