Computergeschichte vor Gericht

Geschrieben am 20.10.2023 von

Vor fünfzig Jahren endete in der amerikanischen Stadt Minneapolis der Prozess um das Patent des Elektronenrechners ENIAC. Bezirksrichter Earl Larson erklärte in seinem Urteil vom 19. Oktober 1973 jenes Patent für ungültig und undurchsetzbar. Der Urteilstext füllte 110 Seiten; haften blieb bis heute Larsons Entscheidung, dass der elektronische Computer vom Physiker John Atanasoff erfunden wurde.

Am 4. Februar 1964 segnete das amerikanische Patentamt in Washington eine Anmeldung ab, die seit dem 26. Juni 1947 in seinem Archiv lag. Es handelte sich um den „Elektronischen numerischen Integrator und Computer“ von John Presper Eckert und John Mauchly, auch bekannt als ENIAC. Er war der erste frei programmierbare Elektronenrechner der Welt. Das 1964 erteilte Patent umfasste mit Zeichnungen 207 Seiten; man kann sie hier studieren.

1967 gehörte das ENIAC-Patent nicht mehr den beiden Erfindern. Eigentümer war die Firma Illinois Scientific Developments ISD, eine Tochter des Technikkonzerns Sperry Rand; er baute Computer der Marke Univac. Die Tochterfirma sollte bei anderen Herstellern Lizenzgebühren eintreiben. Der Marktführer IBM und Sperry Rand schlossen 1965 ein Abkommen über die gegenseitige Nutzung von Patenten, es gab aber noch kleinere Computerbauer. Am 26. Mai 1967 schickte ISD eine Klage an die Firma Honeywell und forderte 20 Millionen Dollar.

Ausschnitt aus der ersten Seite des ENIAC-Patents

So begann der größte Patentprozess in der Computergeschichte. Honeywell ahnte die Zahlungsaufforderung und reichte am gleichen 26. Mai eine Klage gegen Sperry Rand ein. Der Konzern hatte schon 1956 einen Vertrag mit IBM zur Patentnutzung unterschrieben; Honeywell betrachte das als Verstoß gegen die Antitrust-Gesetze. Erstaunlicherweise lag die Klage der Firma einige Minuten vor derjenigen der ISD beim zuständigen Gericht. Beide Verfahren wurden dann zusammengeführt. Der Gerichtsstand war Minneapolis, Sitz der Computerabteilung von Honeywell.

Dort fand vom 1. Juni 1971 bis zum 13. März 1972 der eigentliche Prozess statt, geleitet vom Bezirksrichter Earl Larson. An 135 Verhandlungstagen hörte er 77 Zeugen; außerdem las er 80 schriftliche Stellungnahmen. Insgesamt kamen mehr als 20.000 Transkripte und über 30.000 Dokumente zusammen. Im April 1973 verriet Larson sein Urteil, die endgültige Fassung wurde am 19. Oktober 1973 bekannt. In dieser Druckversion hat es eine Länge von 110 Seiten. Die 26 Kapitel widmen sich teils Patent- und teils Antitrust-Aspekten.

Blick in den Saal des Computers ENIAC – rechts stehen zwei Programmiererinnen

Die entscheidenden Sätze stehen ganz am Schluss: „Das ENIAC-Patent, Seriennummer 3.120.606, der Illinois Scientific Developments Inc. (‚ISD‘) wird hiermit für ungültig und undurchsetzbar erklärt. Die Gegenklage der ISD gegen Honeywell wird abgewiesen.“ Eine Kurzfassung der Urteils bietet die Wikipedia an. Richter Larson störte sich vor allem an der späten Patentanmeldung im Juni 1947. Zu diesem Zeitpunkt wäre ENIAC bereits in Gebrauch gewesen, und die Erfinder hätten ähnliche Systeme kommerziell angeboten.

Larson ging auch auf den First Draft of a Report on the EDVAC von 1945 ein, das berühmte Konzept des Computerpioniers John von Neumann. Dieses wäre teilweise eine Vorwegnahme des ENIAC-Patents gewesen. Ein anderer Computerpionier trat 1971 im ENIAC-Verfahren auf: John Atanasoff. Der Physiker schilderte sein Treffen mit John Mauchly im Sommer 1941, wir beschrieben es im Blog. Atanasoff war jetzt 67 Jahre alt und beeindruckte offenbar Richter Larson. Er machte ihn zum Erfinder des automatischen elektronischen Digitalrechners, wie im dritten Kapitel des Urteils nachlesbar.

Nachbau des Atanasoff-Berry-Computers (Foto Ik T CC BY 2.0 oben beschnitten)

Mittlerweile setzte sich die Ansicht durch, dass Atanasoff wohl nicht den Computer erfand. Eine gegenteilige Meinung vertritt ein Film aus dem Jahr 2013. Nach dem Gerichtsurteil vom Oktober 1973 einigte sich Sperry Rand mit Honeywell, nicht in die Berufung zu gehen, und zahlte der anderen Firma drei Millionen Dollar. 1986 fusionierte Sperry mit Burroughs zu Unisys, 1987 ging der Honeywell-Computerbereich in der französischen Bull-Gruppe auf. Die Module des ENIAC sind auf mehrere Institutionen verteilt. Drei von ihnen befinden sich, siehe Eingangsbild, in der ENIAC-Ausstellung des HNF.

Die Unterlagen des ENIAC-Prozesses liegen in einem Wirtschaftsarchiv im US-Bundesstaat Delaware. Das Verfahren erinnert natürlich an den Prozess vor dem Bundespatentgericht in München zum Computer Z3. Auch hier wandte sich die Göttin Justitia gegen den Erfinder, sprich Konrad Zuse, und bevorzugte einen Außenseiter, den Franzosen Louis Couffignal. Was kaum bekannt ist: 1953 erhielt Zuse ein Patent für seine mechanische Z1. Es galt allerdings nur in Österreich.

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Ein Kommentar auf “Computergeschichte vor Gericht”

  1. Herbert Bruderer sagt:

    Es ist kaum bekannt, dass John Presper Eckert und John William Mauchly Schweizer Wurzeln haben. Hans Mauchly soll zeitlebens Berndeutsch gesprochen haben. Sein Urgrossvater Pankratius Fidelis Mauchle (1813-1854) wanderte von Straubenzell (St. Gallen) nach Ohio aus. Eckert ist ein in der Schweiz verbreiteter Familienname. Er hat in den 1960er Jahren im Appenzellerland nach den Spuren seiner Ahnen geforscht.
    Wer den ersten Computer erfunden hat, ist u.a. eine Frage der Definition. Seine Wiege liegt in Deutschland, England und den USA. Die Entwicklung geschah unabhängig voneinander. Auch das Räderwerk von Antikythera, ein astronomischer Rechner, wird als erster (analoger) Computer bezeichnet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.