Computerszene 1947

Geschrieben am 07.01.2017 von

Anfang 1947 gab es einen einzigen elektronischen Computer auf der Welt, den amerikanischen ENIAC. Vom 7. bis 10. Januar des Jahres veranstaltete die Harvard-Universität aber schon ein Symposium über große digitale Rechenanlagen. An der Tagung nahmen 336 Interessenten teil, darunter der Computerpionier Alan Turing. Den Eröffnungsvortrag hielt ein Urenkel von Charles Babbage, Richard Henry Babbage.

Im Januar des Jahres 1947 herrschte in Deutschland extremes Winterwetter. Die Menschen dachten eher an Lebensmittelkarten und Kohleversorgung als an moderne Technik. Andere Teile der Welt waren nicht nur klimatisch etwas besser dran. In Cambridge unweit von Boston begann am Dienstag, dem 7. Januar 1947, die erste Tagung der Technikgeschichte über große Digitalrechner.

Veranstalter der viertägigen Veranstaltung waren die Universität Harvard und das Waffenbüro der US-Marine. Die 336 Teilnehmer des Symposium about Large Scale Digital Calculating Machinery trafen sich im neuen Rechnerlabor der Uni. Das Symposium war nicht das erste zur neuen Rechentechnik. Schon im Oktober 1945 fand in Boston eine Konferenz darüber statt, über die wir im Blog berichteten. Sie schloss aber Analogrechner ein, dauerte nur zwei Tage und zählte gerade einmal 84 Zuhörer.

Das Symposium begann am Dienstag um 10 Uhr früh mit den üblichen Grußworten. Es sprachen ein Harvard-Vizepräsident, ein Konteradmiral und der Hausherr, Computerpionier Howard Aiken. Danach ging es aber zur Sache und zum Relaisrechner Mark II, den Aiken und seine Mitarbeiter im Labor für die Marine fertigstellten. Er erscheint auch in unserem Eingangsbild. Der Mark II war der Nachfolger des gleichfalls relaisbestückten Harvard Mark I von 1944, des ersten Digitalrechners der USA.

Den ersten Fachvortrag des Tages hielt um 14 Uhr der Kanadier Richard Henry Babbage, ein Urenkel des englischen Computererfinders Charles Babbage und von Beruf Journalist. Er sprach natürlich über das Werk seines Urgroßvaters. Die nachfolgenden Beiträge befassten sich mit den Computern Mark I und Mark II, dem Elektronengehirn ENIAC und den Relaisanlagen der Bell Telephone Laboratories. Damit waren alle in den USA stehenden digitalen Großrechner erfasst.

Den zweiten Tag des Symposiums hatte die Logik zum Thema. Eröffnet wurde er von Alexander Wundheiler; ihn hatte der 2. Weltkrieg von Polen nach Amerika verschlagen. Auf Wundheiler folgte George Stibitz, der Schöpfer der erwähnten Bell-Relaisrechner. Die sechs Vorträge des Nachmittags widmeten sich den Speicherelementen. So referierte der junge Jay Forrester über elektrostatische Verfahren und der polnisch-amerikanische Ingenieur Jan Rajchmann über die Selectron-Röhre.

Tag 3 brachte zunächst Vorträge zu mathematischen Methoden. Der erste kam von Richard Courant, der 1933 Deutschland verlassen hatte. Er baute dann in New York ein bedeutendes Forschungsinstitut auf. Auch sein Kollege Hans Rademacher – er sprach über Akkumulation von Rechenfehlern – war ein deutscher Emigrant. Der in München geborene Wassily Leontief stellte Analysen zur Volkswirtschaft vor. Er hatte russische Eltern, arbeitete aber in den USA. 1973 erhielt er den Nobelpreis.

Das "Computation Laboratory" in Harvard. Ganz rechts steht Howard Aiken, Vierte von links ist Grace Hopper. (Foto Harvard University)

Das neue „Computation Laboratory“ in Harvard. Ganz rechts steht Howard Aiken, die Vierte von rechts ist Grace Hopper. (Foto Harvard University)

Am Nachmittag traten zwei Männer ans Rednerpult, die am Bau des ersten Elektronengehirns ENIAC mitgewirkt hatten. Der Mathematiker Herman Goldstine erläuterte die Programmierung eines Großrechners. Der Physiker John Mauchly, einer der Väter des ENIAC, konzentrierte sich auf den ENIAC-Nachfolger EDVAC. Die Pläne dieses Computers brachten den berühmten Forscher John von Neumann 1945 auf die nach ihm benannte Rechnerarchitektur. Fertig wurde EDVAC allerdings erst 1949.

Am vierten und letzten Tag beschäftigte sich das Symposium mit Eingabe- und Ausgabe-Systemen und der Schlussdiskussion. Den Ausklang bildete eine Rede des Physikers Alan Waterman mit dem Titel „Neue Ausblicke in der Mathematik“. Im Unterschied zur ersten Informatik-Tagung von 1945 gab es diesmal auch einen Tagungsband, der alle Beiträge zusammenfasste. Die „Proceedings“ erschienen 1948. Im Jahr 2003 brachte das Charles Babbage Institute einen Nachdruck heraus.

Unter den Hörern des Symposiums findet man bekannte Wissenschaftler wie George Dantzig, Grace Hopper, Claude Shannon, den österreichischen Mathematiker Richard von Mises oder den aus Russland stammenden Fernsehtechnik-Pionier Vladimir Zworykin. John von Neumann und der spätere Kybernetik-Erfinder Norbert Wiener blieben der Veranstaltung fern oder waren verhindert. Dafür strahlt ein Name in der Teilnehmerliste umso heller: Alan Turing, der einzige Engländer.

Turing arbeitete damals im Nationalen Physiklabor in Teddington, dem englischen Gegenstück zur Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Hier versuchte er, einen Elektronenrechner zu konstruieren, die Automatic Computing Engine ACE. Die ersten drei Wochen des Jahres 1947 verbrachte er in den USA; danach schrieb er einen kurzen Reisebericht. Beeindruckt war er von der Zahl der amerikanischen Computerprojekte. Diese sei so groß, dass es unmöglich wäre, sie vollständig aufzulisten.

Turing hielt die Menge für einen Fehler und glaubte, die Energie würde zu weit verstreut. Er empfahl, die englischen Aktivitäten auf eine einzige Maschine zu konzentrieren. Auf seiner USA-Reise besuchte Turing außer dem Symposium die Universitätsstadt Princeton und John von Neumann. Der hatte am Institute for Advanced Study die Entwicklung eines Rechners gestartet, des IAS-Computers. Fertig wurde er erst 1952, zwei Jahre nach der abgespeckten Version von Turings ACE.

Als Fazit bleibt, dass Anfang 1947 in der Computerwelt vieles „under construction“ war. Schließen wollen wir mit einem Film aus dem Jahr 1951, der im Forschungszentrum der US Navy in Virginia gedreht wurde. Wir sehen den Mark-II-Rechner, der 1947 noch in der Harvard-Universität stand, und seinen Nachfolger Mark III von 1950. Letzterer besaß immerhin schon Elektronenröhren.

Eingangsbild: Harvard University

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