Der erste amerikanische Computer
Geschrieben am 06.08.2019 von HNF
Vor 75 Jahren begann in den USA das Computerzeitalter. Am 7. August 1944 erhielt die Universität Harvard von der Firma IBM den programmgesteuerten Relaisrechner Mark I. Die IBM bevorzugte den Namen ASCC. Der Mark I war sechzehn Meter lang und wog mehr als vier Tonnen. Das Konzept für den Rechner entwickelte der Mathematiker Howard Aiken.
Nein, ein Staatsgeheimnis war sie nicht. „Algebra-Maschine spornt Forschung mit langen Berechnungen an – Harvard bekommt heute Gerät, das in Stunden Probleme löst, die so viel Zeit brauchen, dass sie nie bearbeitet wurden.“ Das berichtete die New York Times am 7. August 1944 Der Artikel stand nicht auf der ersten Seite, die schilderte die Kriegslage in Frankreich und im Pazifik. Aber er nahm immerhin zwei Spalten ein.
Einen Tag später brachte der Einspalter „Aiken’s Calculator“ mehr über den neuen Rechner. Die Leser erfuhren, dass er von Commander Howard Aiken und Ingenieuren der Firma IBM erfunden wurde. Wie es schien, war er schlauer als die Männer, die ihn konstruiert hatten. Wenig später zeigte die Wochenschau bewegte Bilder des Giant Calculator. Matrosen in weißer Kluft turnten darin herum, und eine Frau in Marineuniform bediente ihn. Das war die Mathematikerin Grace Hopper, aus der später eine berühmte Software-Forscherin wurde.
Das Gerät, das vor 75 Jahren an die Öffentlichkeit kam, hatte zwei Namen. Der Nutzer, die Universität Harvard, nannte es Mark I. Das Grundkonzept stammte vom Assistenzprofessor Howard Aiken. Geboren 1900 im US-Bundesstaat New Jersey, studierte er Elektrotechnik und arbeitete als Ingenieur. In den 1930er-Jahren setzte er das Studium in Harvard fort. 1939 promovierte er in Physik. In seiner Doktorarbeit musste er sich mit Differentialgleichungen herumschlagen; deshalb dachte er schon 1937 über ein programmgesteuertes Rechengerät nach.
Er wandte sich an die Rechenmaschinenfirma Monroe; das Management hatte aber kein Interesse, Aikens Ideen zu realisieren. Daraufhin arbeitete er einen längeren Vorschlag aus und schickte ihn an IBM, den Marktführer in der Lochkartentechnik. Das Papier erwähnte den Computervisionär Charles Babbage, ebenso IBM-Vater Herman Hollerith. Aiken wurde von seiner Universität unterstützt, wo er seit der Promotion Mathematik lehrte. Am 31. März 1939 vereinbarten Harvard und IBM dann den Bau eines großen Rechners.
Er entstand im IBM-Werk Endicott im Bundesstaat New York. Die Firma bezeichnete ihn als ASCC, Automatic Sequence Controlled Calculator. Das heißt so viel wie automatischer und mit Befehlsfolgen gesteuerter Rechner. Im Februar 1944 wurde er nach Harvard überführt. Er maß sechzehn Meter, wog 4,3 Tonnen und enthielt 3.500 Relais sowie 800 Kilometer Draht. Der Speicher fasste 72 Dezimalzahlen mit 23 Stellen, dazu gab es 60 Plätze für Konstanten. Die Rechenbefehle wurden in Papierstreifen gelocht. Der ASSC erledigte drei Additionen pro Sekunde; Multiplikationen dauerten sechs Sekunden.
Die Ausgabe erfolgte mit Lochkarten und Schreibmaschinen. Der ASCC machte sich schon vor der Einweihung nützlich. Am 29. März 1944 ließ der Mathematiker John von Neumann Berechnungen für das geheime US-Atombombenprojekt ausführen. Ab August wurden der Maschine vor allem Aufgaben aus der Waffentechnik vorgelegt. Sie stand in der Harvard-Universität, gehörte aber formal zur US-Marine. Howard Aiken und seine Assistentin Grace Hopper waren beide Reserveoffiziere.
Nach der Einweihung lief der Rechner rund um die Uhr. Einen guten Eindruck vermittelt ein Artikel des Magazins Popular Science vom Oktober 1944. Harvard und Howard Aiken stehen im Vordergrund, die IBM wird nur kurz erwähnt. IBM-Chef Thomas Watson mochte solche Berichte gar nicht ; immerhin hatte sein Unternehmen 200.000 Dollar investiert. Er konnte wenig gegen die fehlende Publicity tun, der nächste IBM-Großrechner operierte aber 1948 in der New Yorker IBM-Zentrale. Wir haben ihn letztes Jahr im Blog gewürdigt.
Der Mark I alias ASCC war und ist der erste amerikanische Digitalcomputer, sofern man Relaismaschinen mitzählt. Von der 1941 in Berlin laufenden Z3 wusste in den USA niemand. Z3-Erbauer Konrad Zuse erfuhr dagegen schon im Krieg vom Aiken-Rechner. Der Hinweis kam von der Tochter des Buchhalters, der in Zuses Berliner Ingenieurbüro arbeitete. Sie war Sekretärin im deutschen Geheimdienst und hatte ein Foto gesehen. Viel mehr als die Worte „Sequence Controlled Calculator“ waren darauf aber nicht zu erkennen.
Der Relaisrechner arbeitete bis in die 1950er-Jahre; 1959 wurde er teilweise abgebaut. Einige Module blieben in der Universität, siehe Eingangsbild (Foto Sara D. CC BY 2.0). Aber auch im Heinz Nixdorf MuseumsForum ist eine „Control Unit“ des Rechners gelandet und kann hier besichtigt werden.
Howard Aiken konstruierte ohne Hilfe der IBM drei weitere Mark-Computer; er starb 1973 auf einer Dienstreise. Grace Hopper brachte es 1985 mit 78 Jahren zur Flottenadmiralin; ein Jahr später ging sie in Pension. Sie starb am Neujahrstag 1992. Im Foto unten – es entstand 1984 – ist sie noch Commodore.