Der Mathematiker und die Königin
Geschrieben am 28.12.2023 von HNF
Der 28. Dezember ist der 120. Geburtstag des Mathematikers John von Neumann. Er zählt zu den Vätern des Computers und kam in Budapest zur Welt; von 1930 bis zu seinem Tod 1957 lebte er in den USA. Im September 1954 nahm von Neumann am Internationalen Mathematiker-Kongress in Amsterdam teil; dabei traf er auch Königin Juliana.
Geboren wurde er am 28. Dezember 1903 in Budapest als Neumann János. Zehn Jahre später erhielt der Vater, ein Bankier, einen erblichen Adelstitel, und der Name verlängerte sich zu Margittai Neumann János. Als Privatdozent 1928 in Berlin nannte er sich Johann Neumann von Margitta. Nach der Emigration in die USA 1930 nahm der Mathematiker den Namen an, unter dem ihn die Welt kennt: John von Neumann.
In unserem Blog haben wir ihn schon ausführlich vorgestellt wie auch seine wichtigsten Beiträge zur Informatik. Das waren die Von-Neumann-Architektur, der IAS-Computer und der sich selbst reproduzierende Automat, der später auch Konrad Zuse inspirierte. Heute geht es uns aber um John von Neumanns letzte Reise von Amerika nach Europa. Sie führte ihn im September 1954 zum Internationalen Mathematiker-Kongress in Amsterdam.
Der Kongress war ein Riesenevent mit 2.120 Teilnehmern. Mehr als zweihundert kamen aus West- und Ostdeutschland. Die Schirmherrschaft des Treffens übernahm Prinz Bernhard der Niederlande. Die Eröffnung fand am 2. September um 10.30 Uhr im Concertgebouw statt, dem berühmten Amsterdamer Konzerthaus. Nach der Mittagspause hielt John von Neumann um 15 Uhr den ersten wissenschaftlichen Vortrag. Die Veranstalter hatten ihn persönlich eingeladen und gebeten, über ungelöste Probleme der Mathematik zu sprechen.
Vielleicht erwarteten sie ein Referat ähnlich dem, das der deutsche Mathematiker David Hilbert im Jahr 1900 in Paris hielt. Seine 23 Probleme beschäftigten danach Jahrzehnte die Forschung. John von Neumann tat etwas anderes. Er behandelte die Mathematik der Quantentheorie, ein Gebiet, das er hervorragend beherrschte, das aber nur Spezialisten interessierte. Im Saal machte sich Unruhe breit als plötzlich der Zwischenruf „Aufgewärmte Suppe!“ in deutscher Sprache ertönte. John von Neumann hörte ihn mit Sicherheit; nach Ende seines Vortrags verließ er fluchtartig das Gebäude.
Wer einmal einer Mathematikvorlesung beiwohnte, der weiß, dass solch ein Kommentar absolut ungewöhnlich ist. Den Organisatoren war das Ereignis höchst peinlich, das in Memoiren oder Biographien fehlt. Überliefert hat es der Mathematiker und Physiker Freeman Dyson, der den Ruf mit eigenen Ohren hörte. Der Vortragstext erschien weder in den Kongressbänden noch in John von Neumanns gesammelten Werken, sondern erst im Jahr 2000 hinter einer Bezahlschranke. Zugänglich ist eine Analyse des Referats von 1999.
John von Neumann wäre sicher sofort heimgeflogen, doch gab es noch einen Termin, dem er nicht fernbleiben konnte. Am 8. September 1954 empfing Königin Juliana rund zwanzig Kongressteilnehmer im Schloss Soestdijk bei Hilversum. Unser Eingangsbild bringt einen Ausschnitt aus einem dort entstandenen Foto, es liegt im niederländischen Nationalarchiv. Der Mathematiker ist ganz links zu sehen, neben ihm stehen seine englische Kollegin Mary Cartwright, der junge Franzose Jean-Pierre Serre und dahinter der deutsche Gelehrte Hermann Weyl.
Rechts hinter Juliana erkennen wir den deutsch-schweizerischen Topologen Heinz Hopf. Im Foto wirkt John von Neumann angespannt und leicht übergewichtig. 1955 hatte er etwas an Gewicht verloren, was man in einem Fernsehauftritt bemerkt. Im selben Jahr wurde bei ihm Krebs diagnostiziert. 1956 kam er ins Krankenhaus; er starb am 8. Februar 1957. Königin Juliana dankte 1980 ab, sie verstarb 2004. Jean-Pierre Serre feierte am 15. September 2023 seinen 97. Geburtstag. Schloss Soestdijk – die Niederländer sagen Paleis Soestdijk – gehört seit 2017 einer Privatfirma, die im Haus auch Ausstellungen aufbaut.
Das wichtigste Dokument zu unserem Kongress sind die Begleitbände; sie lassen sich hier – bitte etwas scrollen – aufrufen, lesen und herunterladen. Neben dem Vortragsprogramm konnten die Teilnehmer auch einige Computer besichtigen. Die ARRA II im Mathematischen Zentrum war das erste niederländische Elektronengehirn; im Forschungsinstitut des Ölkonzerns Shell lief ein Ferranti Mark 1 aus England. Zwei kleinere Rechner für Lochkarten-Einsätze führte der Amsterdamer IBM-Zweig vor.
Bei der Tagung erlebten zwei Männer den Durchbruch, ein Mathematiker und ein Künstler. Friedrich Hirzebruch (1927-2012) stellte seine Resultate vor und wurde dadurch mit einem Schlag bekannt; als Universitätsprofessor machte er ab 1956 Bonn zu einem Zentrum der Mathematik. M. C. Escher (1898-1972) zeigte parallel zum Kongress in einem Museum seine geometrischen Grafiken. Sie begeisterten die Wissenschaftler und regten sie zu weiteren Forschungen an.
Zum Schluss wünschen wir den Leserinnen und Lesern unseres Blogs noch einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Wieder einmal ein wunderbarer Blog, diesmal über John von Neumann.
Sie finden immer wieder interessante Details, die mir noch nicht bekannt waren.
Vielen Dank dafür!
Ihnen wünsche ich auch einen guten Rutsch ins neue Jahr 2024!