Die Propheten der integrierten Schaltung

Geschrieben am 06.05.2022 von

Die integrierte Schaltung fasst Transistoren auf einem Silizium-Plättchen zusammen. Erfunden wurde sie 1958 vom Amerikaner Jack Kilby und ein zweites Mal 1959 von seinem Landsmann Robert Noyce. Schon vor siebzig Jahren beschrieb der englische Ingenieur Geoffrey Dummer ihre Prinzipien in einem Vortrag. Er wollte auch ein funktionsfähiges Exemplar erstellen, doch seine Bemühungen verliefen im Sande.

Erfindungen haben die Eigenschaft, dass sie mehrfach geschehen können. So wurde der Transistor 1947 in den amerikanischen Bell-Laboratorien und 1948 in einem Vorort von Paris geboren. Der Transistor führte zur integrierten Schaltung; die ersten entwickelten 1958 der Physiker Jack Kilby in Texas und 1959 sein Berufskollege Robert Noyce in Kalifornien. Der Siemens-Wissenschaftler Werner Jacobi erhielt schon am 15. Mai 1952 ein Patent für einen Halbleiterverstärker, der die Grundzüge jener Schaltung aufwies.

Zehn Tage vorher begann in der amerikanischen Bundeshauptstadt Washington eine Konferenz über den Fortschritt der Quality Electronic Components – das könnte man mit „hochwertigen elektronischen Bauelementen“ übersetzen. Die Tagung dauerte vom 5. bis zum 7. Mai 1952 und fand im US-Innenministerium statt. Die erste Sitzung umfasste einen Vortrag zu Bauelementen in Großbritannien. Referent war der Ingenieur Geoffrey Dummer; er widmete sich im zentralenglischen Ort Malvern der Radarforschung.

Der letzte Absatz des Vortrags warf einen Blick in die Zukunft: „Angesichts der Erfindung des Transistors und der Arbeit an Halbleitern allgemein kann man sich elektronische Systeme in einem Festkörper ohne Verbindungsdrähte vorstellen. Er könnte Schichten aus leitendem, isolierenden, gleichrichtendem und verstärkendem Material enthalten, wobei man die elektrischen Elemente direkt durch Wegschneiden bestimmter Abschnitte der Schichten verbindet.“ Dieser Text gilt heute als die erste Beschreibung einer integrierten Schaltung.

Geoffrey Dummer (Foto Robert Cathles CC BY-SA 3.0)

Wer war Geoffrey Dummer? Geboren wurde er am 25. Februar 1909 in der nordenglischen Hafenstadt Hull. Er besuchte ein Gymnasium in Manchester und studierte an der örtlichen technischen Hochschule. Ab 1931 arbeitete er in Röhren- und Elektronikfirmen. Im Zweiten Weltkrieg kam er nach Malvern; hier schuf das Forschungsinstitut für Telekommunikation TRE die Radartechnik der Royal Air Force. Dummer blieb und konzentrierte sich später auf elektronische Bauelemente. Er schrieb außerdem Aufsätze und Fachbücher und saß in allen möglichen Ausschüssen. Er starb am 9. September 2002.

Nach dem Vortrag vom 5. Mai 1952 versuchte Geoffrey Dummer, seine Ideen in konkrete Schaltungen umzusetzen. 1957 beauftragte er den Elektronik-Hersteller Plessey mit der Entwicklung einer integrierten Schaltung auf Silizium-Basis. Das einzig fassbare Resultat war ein Pappmodell, das bei einem Symposium des TRE gezeigt wurde. Im Foto erkennt man den Plan einer Flipflop-Schaltung, aus der leider nichts wurde. 1958 verfasste Dummer einen Artikel (PDF-Seite 31 bis 33) über Bauelemente der Zukunft. Er beschrieb hauptsächlich Dünnfilm-Strukturen, sprach aber auch schon von „molekularer Elektronik“.

Das Konzept der integrierten Schaltung mit Halbleitern lag in den 1950er-Jahren in der Luft. Einige Namen nennt die Übersicht des Computer History Museums; wir erinnerten schon an Werner Jacobi von der Firma Siemens. Der im RCA-Konzern tätige Harwick Johnson meldete 1953 eine Oszillator-Schaltung zum Patent an; es wurde 1957 gewährt. Erwähnen müssen wir die erste im Vereinigten Königreich realisierte integrierte Schaltung. Sie lag 1960 in Malvern vor; mehr dazu steht in dieser Zeitschrift auf den PDF-Seiten 31 bis 33.

Julius Lilienfeld – wohl ein Passfoto

Zum Schluss möchten wir noch auf einen Elektronik-Visionär eingehen, der 1882 in der Ukraine geboren wurde: Julius Lilienfeld. Seine Heimatstadt Lwiw hieß damals Lemberg und lag in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Er studierte Physik in Berlin und promovierte 1905; er arbeitete danach in Leipzig. 1927 wanderte er aus und wohnte im US-Bundesstaat Massachusetts. Ab 1935 lebte Julius Lilienfeld aus Gesundheitsgründen auf den amerikanischen Jungferninseln in der Karibik. Dort starb er 1963.

1925 meldete er in Kanada und ein Jahr später in den USA eine Methode zum Patent an, die den Feldeffekttransistor vorwegnahm. 1928 legte Lilienfeld dem Patentamt den Entwurf eines Verstärkers vor. Er ist aus Schichten aufgebaut; man könnte ihn durchaus eine integrierte Schaltung nennen. Deshalb haben wir ihn oben ins Eingangsbild gesetzt.

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