Ein Computer mit Transistoren

Geschrieben am 05.02.2019 von

1947 wurde er erfunden, 1959 zog er in größerer Zahl in Computer ein: der Transistor. Das kleine Teil ermöglichte bessere und leichter bedienbare Systeme; es schuf die zweite Computergeneration nach den Röhrenrechnern. Eine der ersten Transistormaschinen war die Electrologica X1 aus den Niederlanden. Eine ganze Anzahl liefen in Deutschland; eine X1 hat in Kiel überlebt.  

Das wichtigste Bauelement der heutigen Computertechnik, der Transistor, wurde 1947 in den USA geboren – wir haben es im Blog beschrieben. 1948 erfanden ihn deutsche Forscher in Frankreich ein zweites Mal. Ende 1957 lief im bayrischen Fürth ein Computer mit Germanium-Transistoren. Das Informatik-System Quelle bewältigte aber nur eine einzige Aufgabe, die Bestellungen eines Versandhauses.

Die Electrologica X1 in Computermuseum Kiel: vorn ist das Bedienpult, hinten stehen ein Bandlaufwerk und zwei Speicherschränke.

Serienmäßige und frei programmierbare Transistorrechner kündigten sich vor gut sechzig Jahren an. So berichtete die englische Zeitschrift Wireless World im Januar 1959 über zwei Modelle, die wenige Wochen vorher auf einer Industrieschau in London zu sehen waren. Sie kamen von den britischen Firmen Ferranti und Elliott Automation. Zur selben Zeit leistete auf dem europäischen Kontinent einer der neuen Computer schon richtige Arbeit. Das war die Electrologica X1, die in der niederländischen Regierungshauptstadt Den Haag stand.

Die Wurzeln der X1 lagen im Mathematischen Zentrum in Amsterdam. Das Forschungsinstitut – die niederländische Abkürzung lautete MC – widmete sich seit 1946 der Statistik und der angewandten Mathematik. 1952 stelle das MC einen Computer vor, den kombinierten Relais- und Röhrenrechner ARRA. Er streikte aber gleich nach der Einweihung und war nicht mehr zu gebrauchen. Der Nachfolger ARRA II funktionierte 1954 besser und ebenso 1956 der ARMAC. Am Bau der beiden wirkte Edsger Dijkstra mit; er war damals noch Student. 1972 gewann er den Turing-Preis, den Nobelpreis der Informatik.

Bitte ein Bit: ein Kernspeicher-Element der Electrologica X1.

Für seinen nächsten Computer schuf das Mathematische Zentrum eine eigene Firma. Einen Partner fand es in der Versicherungsgesellschaft Nillmij aus Den Haag, ihr Direktor Johannes Engelfriet war Mathematiker. Im Juni 1956 erfolgte die Gründung der N. V. Electrologica; die zwei Buchstaben stehen für  „Naamloze Vennootschap“ und entsprechen der deutschen AG. Formal war das Unternehmen eine Tochter der Versicherung, die das Geld vorstreckte. Für die Hardware-Fertigung mietete man eine Halle am Stadtrand von Amsterdam.

Das erste Electrologica-Produkt war der Rechner X1; der Grundpreis betrug 175.000 Gulden, umgerechnet etwa 195.000 DM. Der Entwurf stammte von Bart Loopstra und Carel Scholten, an der Software wirkte Edsger Dijkstra mit. Er schrieb auch seine Doktorarbeit über die X1. Der Computer arbeitete mit Germanium-Transistoren, die zusammen mit Dioden in kleinen Modulen aus Aluminium steckten. Das Rechen- und Steuerwerk füllte die Wandabschnitte des eindrucksvollen Bedienpults. Der Arbeitsspeicher belegte einen eigenen Schrank und verwendete Magnetkerne. Er entsprach dem letzten Stand der Technik.

Nachricht vom Kundendienst – die deutsche Electrologica-Vertretung saß in Düsseldorf.

Die X1 rechnete mit Worten der Länge 27 Bit plus einem Prüfbit. Der Speicher fasste in der Grundversion rund 1.200 Worte; durch weitere Schränke ließ er sich bis auf 32.768 Worte vergrößern. Auf Wunsch lieferte Electrologica Trommel- und Bandspeicher. Eine Addition oder Subtraktion erledigte die X1 in 67 Mikrosekunden; eine Multiplikation brauchte 500 Mikrosekunden. Programmiert wurde sie in einer Assemblersprache, später mit der Sprache Algol 60. Der Computer bot schon die Möglichkeit der Programmunterbrechung, des sogenannten Interrupts.

Die allererste X1 erhielt 1958 die Firmenmutter Nilllmij. Die zweite ging 1959 nach Dortmund. Dort wirkte seit 1957 der Mathematische Beratungs- und Programmierungsdienst, das erste europäische Softwarehaus. Insgesamt liefen bei der N. V. Electrologica 18 Bestellungen aus Deutschland ein, darunter drei von Hochschulen. An der Universität Kiel entstand eine spezielle Software für die X1, der Kieler Code. Zur X1 der Uni Saarbrücken steht hier ein schöner Artikel, und hier sind Fotos der Braunschweiger Electrologica.

Prinz Bernhard, Gemahl der holländischen Königin Juliana, 1964 an einer X1 im neuen Electrologica-Standort Rijswijk.

Der letzte der 35 gebauten Rechner wurde 1965 installiert. In jenem Jahr saß die N. V. Electrologica schon in Rijswijk nahe Den Haag und entwickelte das Modell X8. Im Jahr 1968 schluckte der Elektrogigant Philips die Firma. Zwei X1-Computer überlebten in der Technischen Universität Delft und im Computermuseum der Fachhochschule Kiel. Zwei Electrologicas in Hamburg zeigt die Wochenschau von 1965 – bitte zu Minute 4:05 und in das Unilever-Hochhaus springen. Wer Niederländisch versteht, findet viele Informationen zur X1 im Aufsatz von Huub de Beer.

Wir bedanken uns herzlich bei Gabriele Sowada in Kiel für die Fotos der Electrologica X1 im dortigen Computermuseum. Unser Eingangsbild wirft einen Blick in den Speicherschrank.

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