Ein Film mit sieben Superstars
Geschrieben am 12.01.2016 von HNF
Am 15. Oktober 1981 trafen sich in Boston sieben Topmanager der Computerbranche zu einer öffentlichen Diskussion über die Zukunft des Personal Computers. Auf dem Podium saßen unter anderem Don Estridge, Vater des zwei Monate vorher vorgestellten IBM PC, Apple-Chef Mike Markkula und der junge Bill Gates. Das Video des Abends ist ein Dokument der IT-Geschichte.
Von den späten 1970er-Jahren an verbreiteten sich – zumindest in der westlichen Welt – die mit Mikroprozessoren arbeitenden Kleinrechner, auch Mikro- oder Personal Computer genannt. Zugleich begann eine zweite technische Revolution, die der Videorekorder und -kameras, die es im Prinzip jedermann erlaubten, alte Filme zu speichern und neue aufzunehmen. Krönender Abschluss war die Digitalisierung des angehäuften Materials und seine Bereitstellung im Netz, vor allem auf YouTube.
Als Folge dieser Umwälzungen ist die Geschichte des Mikrocomputers durch eine Fülle von Videos dokumentiert, die sich online studieren lassen. Diesbezügliche Adressen sind etwa die Fernsehserie Computer Chronicles (1983-2002), ihr Ableger Net Cafe (1996-2002) und das YouTube-Programm EverySteveJobsVideo. Hier und heute wollen wir uns aber mit einem Film aus einer andere Quelle befassen, der Sammlung der von 1977 bis 1996 florierenden Boston Computer Society BCS, der zu Lebzeiten größten und wichtigsten amerikanischen Nutzervereinigung.
Das „Forum on the Future of Personal Computers” fand am 15. Oktober 1981 am ersten Tag der Northeast Computer Show in Boston statt. Diese Messe lockte Hightech-Fans aus dem Nordosten der USA an sowie Ingenieure und Manager aus dem ganzen Land. Die BSC packte die Gelegenheit beim Schopf und lud sieben Führungskräfte zu einer gemeinsamen öffentlichen Präsentation ein. Die Kamera führte Dan Bricklin, der mit seiner Tabellenkalkulation-Software Visicalc schon einiges zu jener Zukunft beigetragen hatte.
In unserem Foto sitzt rechts am Tisch der Moderator, der erst 18-jährige Jonathan Rosenberg. Links von ihm kommen Mike Markkula von Apple und Don Estridge von IBM, dann folgen der Radio-Shack-Vertreter Jon Shirley, der es später zum Leiter von Microsoft brachte, Atari-Kollege Peter Rosenthal und Commodore-Präsident James Finke. Der knapp 26 Jahre alte Bill Gates muss nicht vorgestellt werden, und den Platz ganz links besetzt der einzige Europäer, Nigel Searle, Nordamerika-Chef der englischen Computerfirma Sinclair.
Das Video zum Forum, das heute im Archiv des Computer History Museum in Kalifornien liegt, dauert 2 Stunden und 22 Minuten und bringt nacheinander die Statements der Podiumsgäste, jeweils gefolgt von Nachfragen aus dem Publikum oder vom Podium. Die Tonqualität ist leider nicht die beste, viele Passagen bleiben rätselhaft. Das gilt nicht für Bill Gates, den man neben seinem Vorredner James Finke mit dem Oberkörper wippen sieht und dann von Minute 24:00 bis 45:00 relativ gut versteht.
Den Platz am Tisch verdankte „the father of microcomputer software“ – wie es im BSC-Plakat hieß – der Sprache BASIC, dem ersten Produkt der Firma Microsoft aus der Zeit, als sie in Albuquerque im Bundesstaat New Mexico saß. In Boston hob Bill Gates den Wechsel von 8-bit- zu 16-bit-Systemen hervor und lobte die Workstation Xerox Star, die bereits über eine grafische Benutzeroberfläche und Mausbedienung verfügte. Auf seine Beziehung zu IBM – Microsoft lieferte das Betriebssystem für den brandneuen IBM PC – ging er nicht näher ein.
Nach Bill Gates sprachen Peter Rosenthal von Atari, das seit 1979 Computer für den Hausgebrauch produzierte, Jon Shirley von Radio Shack, dem Hersteller des 8-bit-Rechners TRS-80, und von Minute 1:33:00 an Mike Markkula von Apple. Sein Name ist wohl nur Apple-Experten ein Begriff, doch war Markkula 1977 nicht nur der erste Sponsor des jungen Unternehmens, sondern ein wertvoller Berater mit viel Erfahrung im Marketing. Nach dem Börsengang von Apple im Jahr 1980 wirkte er von 1981 bis 1983 als Geschäftsführer; sein Nachfolger war John Sculley.
Auf dem Podium forderte Markkula ein Umdenken beim Software-Copyright und beim Software-Kopierschutz, wobei er Computerprogramme mit Taschenbüchern verglich. Das führte zu erstaunten Nachfragen von den anderen Teilnehmern und auch zu Schlagzeilen in der Fachpresse. Wie Bill Gates verwies Markkula auf die Qualitäten des Xerox Star, wohl wissend, dass die Apple-Ingenieure an den ganz ähnlichen Systemen Lisa und Macintosh arbeiteten.
Ab Minute 1:52:00 äußerte sich Don Estridge, Leiter der in Florida angesiedelten IBM-Abteilung für Einstiegssysteme. Sie hatte im August 1981 den PC genannten Personal Computer herausgebracht und damit nicht nur den Namen gekapert, sondern eine Neuordnung des Marktes eingeleitet. Dieser teilte sich in der Folgezeit in die preiswerten 8-bit-Modelle – man denke an den Commodore C64 – und die teuren 16-bit-Geräte, wobei der IBM PC eine Meute kompatibler Systeme nach sich zog.
Davon ahnte Estridge 1981 nichts. Sein Statement erschöpfte sich in Allgemeinplätzen. Einen erfrischenden Blick in die Zukunft bot dagegen der Letzte der Runde, Sinclair-Manager Nigel Searle. Ab Minute 2:15:00 prophezeite er die künftige Netzgesellschaft und schilderte eine Welt mit Online-Banking und Computer-Überweisungen. Zugleich sprach Searle auch schon den „Big Brother aspect“ und das Problem der „privacy“ an, was unserem Datenschutz entspricht.
Das Forum der BCS stand am Anfang der Goldenen 1980er-Jahre des Mikrocomputers, auf die das Leben im Internet folgte, das wir heute führen. Wichtigster Inhalt des Videos ist aber nicht der Blick auf die Technik, sondern der auf die Menschen, die sie schufen. „Superstars gather at NE Computer Show in Boston“ schrieb damals die Zeitschrift InfoWorld, und da freuen wir uns doch, wenn wir ihnen dabei zuschauen können.
Eingangsbild: Computer History Museum