Enigma und Lochkarte

Geschrieben am 13.03.2020 von

Im Zweiten Weltkrieg verschlüsselte die deutsche Wehrmacht Funksprüche mit der Chiffriermaschine Enigma. Englische Spezialisten, darunter der Mathematiker Alan Turing, konnten viele entschlüsseln; hierfür erdachte Turing die „Bombe“. Vor achtzig Jahren ging die erste in Bletchley Park/Grafschaft Buckinghamshire in Dienst. Gebaut wurden die Geräte von der British Tabulating Machine Company, einer Firma für Lochkartentechnik. 

Spätestens seit 1974 – einzelne Hinweise gab es schon früher – weiß die Welt vom Entschlüsselungszentrums Bletchley Park siebzig Kilometer nordwestlich von London. Die Government Code and Cipher School, kurz GC & CS, brach dort von 1939 bis 1945 deutsche Geheimcodes. Sie konnte einen großen Teil des militärischen Funkverkehrs mitlesen, was entsprechende Vorteile für die Operationen im Zweiten Weltkrieg erbrachte.

Baracke 1 in Bletchley Parkt. (Foto Toby Oxborrow CC BY-SA 2.0 unten beschnitten)

Kurz vor Kriegsausbruch, im Juli 1939, trafen sich polnische, englische und französische Geheimdienstler in Pyry bei Warschau. Die Polen enthüllten den Kollegen, dass sie den Code der deutschen Chiffriermaschine Enigma geknackt hatten. Dabei verwendeten sie elektrische Simulatoren, die Bomben, und bauten auf den Bedienungsvorschriften der Maschine auf. Ihre Bomben wurden jedoch Anfang 1939 obsolet, als die Wehrmacht die Prozedur für die täglich wechselnden Einstellungen der Enigma änderte.

Die Dechiffrier-Erfahrungen der Polen kamen aber den Spezialisten in Bletchley Park zugute. Ab dem 4. September 1939 – am 3. hatte England dem Deutschen Reich den Krieg erklärt – stieß der Mathematiker Alan Turing zur GC & CS. In den nächsten Wochen entwarf er einen neuen Enigma-Simulator, der gleichfalls Bombe genannt wurde. Er erhielt als Input einige Buchstaben eines verschlüsselten Funkspruchs und eine ebenso lange Buchstabenfolge aus einem vermuteten deutschen Klartext. Der wurde in Blechtley Park Crib genannt.

Nachbau der Turing-Welchmann-Bombe. Er steht im Computermuseum von Bletchley Park.

Die Bombe testete nun eine Vielzahl Enigma-Konfigurationen, also Positionen der Walzen und – siehe das Eingangsbild – der Kabelstecker an der Vorderseite. Sie stoppte bei einer Einstellung, die vom Crib zum Funkspruch führte. Dann wurde geprüft, ob jene Einstellung auch den restlichen Text korrekt verschlüsselte. Falls nicht, ging das Testen weiter. Turings Idee erschien aussichtsreich; die erste Bombe wurde gebaut und in Baracke 1 des Bletchley-Park-Komplexes  aufgestellt. Das geschah am 14. oder am 18. März 1940; die Überlieferung ist nicht ganz einheitlich.

Der Mathematiker Gordon Welchman saß in Baracke 6 der GC & CS; er bearbeitete den Funkverkehr von Wehrmacht und Luftwaffe. Sein Team entschlüsselte ohne technische Geräte; man nutzte vor allem die Gewohnheiten und Fehler der deutschen Funker aus. Welchman wusste wie Turing von den polnischen Bomben. Für die englische ersann er im November 1939 eine geniale Verkabelung, das sogenannte Diagonalbrett. Das Brett verkürzte die Operationen der Turing-Bombe erheblich und machte sie erst praktikabel.

Lochkartensortierer der British Tabulating Machine Company aus den 1920er-Jahren. (Foto Science Museum Group CC BY-NC-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Die erste Turing-Welchman-Bombe mit Diagonalbrett nahm am 8. August 1940 den Betrieb auf. Sie wurde zum Standardtyp der Enigma-Simulatoren; insgesamt liefen 210 Stück in Bletchley Park und seinen Außenstellen. Rund 120 Bomben fertigte die amerikanische Registrierkassenfirma NCR; Konstrukteur war Joseph Desch. Die NCR-Bomben halfen beim Entschlüsseln von Funksprüchen, die mit Enigmas der Reichsmarine codiert wurden. Sie enthielten ab 1942 nicht drei Walzen wie die anderen Enigma-Typen, sondern vier.

Wer aber baute die Turing-Welchman-Bomben? Das war die British Tabulating Machine Company BTM. Sie saß vierzig Kilometer östlich von Bletchley Park in Letchworth. 1902 in London gegründet, importierte und vermarktete die Firma Lochkartenmaschinen nach dem System von Herman Hollerith.  Ab 1920 stellte sie die Maschinen selbst her. Die BTM war das englische Gegenstück der Deutschen Hollerith-Maschinen Gesellschaft; im Unterschied zur IBM-Tochter DEHOMAG blieb sie jedoch relativ eigenständig.

Technische Ideen aus dem „Rolling Total Tabulator“ gingen in die „Bomben“ der BTM ein.

1939 arbeiteten 1.225 Menschen für die British Tabulating Machine Company. Das Spitzenprodukt war eine Tabelliermaschine aus eigener Entwicklung, der „Rolling Total Tabulator“. Das Bomben-Projekt leitete BTM-Chefingenieur Howard Keen; er konstruierte nach Alan Turings Vorgaben die Hardware. Der Bau einer einzigen Bombe dauerte sechs Wochen; die Ingenieure, Techniker und Technikerinnen lernten aber, mehrere parallel zu fertigen. Im Durchschnitt verließ jede Woche ein Gerät die Firma.

Der Krieg der Kryptologen wurde nicht nur in Bletchley Park gewonnen, sondern auch in Letchworth sowie in Dayton im US-Bundesstaat Ohio, dem Sitz der NCR. Die BTM baute nach Kriegsende wieder Lochkartentechnik und ab 1951 Röhrenrechner. 1959 fusionierte sie mit der Powers-Samas Accounting Machine Limited, die das Powers-Lochkartensystem vertrat. Die daraus entstehende Firma ICT ging 1968 in der International Computers Limited auf; sie wurde 2002 von Fujitsu-Siemens geschluckt. Die Existenz der Krypto-Bomben enthüllte 1975 der englische Autor Anthony Cave Brown in seinem Buch Bodyguard of Lies.

So entstanden die Innereien der Turing-Welchman-Bomben. (Foto National Education Network / First Garden City Heritage Museum)

Den Zahlenfreunden wünschen wir noch alles Gute zum morgigen 14. März. Wegen der amerikanischen Datum-Schreibweise 3-14 wurde er zum Tag der Kreiszahl Pi. In diesem Jahr ist er auch zum ersten Mal der Internationale Tag der Mathematik. Unser Blog wird – mehr sei noch nicht verraten – in der nächsten Folge ein Thema behandeln, das nicht nur, aber auch mit Mathematik zu tun hat.

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