Rechenmaschine aus Ohio

Geschrieben am 16.04.2024 von

1859 betrieb Caroline Winter ein Geschäft in der Stadt Piqua im US-Bundesstaat Ohio. Am 12. April des Jahres erhielt sie ein Patent für einen Kolonnenaddierer. Er summierte die Dezimalstellen von mehreren Zahlen auf. Damit war Caroline Winter die erste Frau, die ein Rechengerät erfand. Ein Modell zu ihrer Erfindung steht heute im Arithmeum in Bonn.

Addiergeräte können kompliziert oder einfach sein. Zu der letzten Kategorie gehören der altbekannte Abakus und der 1847 erfundene Zahlenschieber vom Addiator-Typ. Etwa zur gleichen Zeit erdachte der amerikanische Student Du Bois Parmelee eine andere simple Apparatur. Darauf tippte man eine Zahl zwischen 1 und 9 ein, etwa die 4. Die Mechanik verschob dann eine vertikale Stange um vier Abschnitte nach oben. Mit weiteren Eingaben ließen sich Summen bilden.

Für das Gerät erhielt Parmelee am 5. Februar 1850 ein Patent. Am 3. August stellte der noch in Zeitungsform erscheinende Scientific American eine verbesserte Version vor. Sie zeigte das Ergebnis auf einem Rad mit einer Skala an. Diese und ähnliche Rechenmaschinen wurden später Kolonnenaddierer genannt. Sie summierten nacheinander die Einer, Zehner, Hunderter usw. der Ausgangszahlen und berücksichtigten die angefallenen Überträge. Die Ziffern des Resultats hielt man auf Papier fest. Ein deutsches Beispiel war die Adix.

Addiermaschine von Du Bois Parmelee: Hinten erkennt man die Resultat-Stange.

Zurück in die USA und in den Bundesstaat Ohio. Dort liegt am Fluss Miami die rund 20.000 Einwohner zählende Stadt Piqua; der Name stammt aus der Sprache des Shawnee-Volks. Im Jahr 1859 wohnten in Piqua 6.000 Menschen; es gab eine Vielzahl von Betrieben und fünfzig Geschäfte. Ein „General Store“ für alle möglichen Waren wurde von einer Frau geleitet; sie hieß Caroline Winter. Es spricht einiges dafür, dass sie aus Deutschland einwanderte, sonst wissen wir nur wenig über sie. Sie starb 1875, ihr Erbe ist ihre Rechenmaschine.

Am 12. April 1859 erhielt Caroline Winter ein Patent für eine Improved Adding-Machine. Die Patentschrift umfasste zwei Seiten Text und eine Seite Zeichnungen. Sie beschrieb einen Kolonnenaddierer mit neun Eingabetasten und zwei kreisförmigen Skalen für die Angabe des Resultats. Die große Skala ging bis 100, die kleine war in sechs Abschnitte unterteilt. Der kleine Zeiger drehte sich langsamer, ein Abschnitt entsprach einer vollen Umdrehung des großen Zeigers. Auf diese Weise wurden Werte von 1 bis 599 angezeigt.

Die „verbesserte Addiermaschine“ von Caroline Winter in der Patentzeichnung

Die Tasten trugen die Ziffern 1 bis 9 und ließen sich unterschiedlich weit herunterdrücken. Ihre Bewegung wurde jeweils über Zahnräder auf die Zeiger übertragen. Der Druck auf Taste 4 rückte den großen Zeiger vier Striche vor, Taste 9 schob ihn neun Striche weiter. War eine Ziffernreihe addiert, musste der Benutzer das Resultat notieren und die Maschine wieder auf den Startzustand stellen. Die Einerziffer des Resultats ging ins Endergebnis der Rechnung ein, die Zehner- und in seltenen Fällen die Hunderterziffer bildeten den Übertrag.

Der wurde bei der Addition der benachbarten Kolumnen benötigt. Die Transmission der Tastenbewegung auf die zwei Resultatzeiger erinnert an die Rechenmaschine von Du Bois Parmelee; vielleicht las Caroline Winter den Artikel darüber im „Scientific American“. Ob sie von ihrer eigenen Maschine eine funktionsfähige Ausführung baute und einsetzte, ist uns leider nicht bekannt. Es entstand aber ein 28 Zentimeter breites und 18 Zentimeter breites Modell, das zur Anmeldung beim Patentamt in Washington eingereicht wurde.

Ein Blick ins Innere der Maschine. Ein Druck auf die Taste rechts schiebt den Rahmen E‘-E nach unten und dreht das Rad weiter. Anschließend hält die Klinke S das Rad an.

Rechenmaschinen haben ihre Schicksale; das gilt auch für das erwähnte Patentmodell. 2009 erschien es im Katalog eines bekannten Kölner Auktionshauses; das Arithmeum, ein Museum für die Geschichte der Rechentechnik, ersteigerte es und platzierte es in seiner Ausstellung in Bonn. Außerdem gab es eine Animation in Auftrag, die das Innenleben des Modells verdeutlichte; man kann sie hier anschauen. Wir bedanken uns beim Museum für die Erlaubnis, das Foto – siehe unten – in unserem Blog verwenden zu können.

Caroline Winters Addiermaschine war das erste von einer Frau konstruierte Rechengerät. 1868 schuf die französische Pädagogin Marie Pape-Carpantier einen Kugelrechner ähnlich dem in deutsche Schulen. Der boulier numérateur besaß jedoch abgeknickte Drähte. Die amerikanische Ingenieurin Edith Clarke erfand im Jahr 1921 einen grafisch-numerischen Rechenschieber zur Analyse von Stromleitungen. Sie benutzte ihn später bei ihrer Arbeit in der Firma General Electric. Ihre männlichen Kollegen vertrauten aber eher dem klassischen Rechenstab. Richtig Karriere machten Erfinderinnen wohl erst im Computerzeitalter.

Das Patentmodell von Caroline Winter in Bonn (Arithmeum, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Inventarnummer FDM 9561)

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Ein Kommentar auf “Rechenmaschine aus Ohio”

  1. Herbert Bruderer sagt:

    Tastenaddierer (Kolonnenaddierer) gab es bereits vor Du Bois Parmelee, z.B. von Luigi Torchi (Italien) 1834 und Jean-Baptiste Schwilgué (Frankreich) 1844. Geräte von Schwilgué, dem Schöpfer der derzeitigen astronomischen Uhr des Strassburger Münsters, sind in Strassburg und Zürich erhalten. Mehr dazu in:

    Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 1, 970 Seiten, 577 Abbildungen, 114 Tabellen, https://doi.org/10.1515/9783110669664

    Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 2, 1055 Seiten, 138 Abbildungen, 37 Tabellen, https://doi.org/10.1515/9783110669671

    Bruderer, Herbert: Milestones in Analog and Digital Computing, Springer Nature Switzer-land AG, Cham, 3rd edition 2020, 2 volumes, 2113 pages, 715 illustrations, 151 tables, translated from the German by John McMinn, https://doi.org/10.1007/978-3-030-40974-6

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