Weihnachten mit Radio

Geschrieben am 22.12.2020 von

Das Radio, wie wir es kennen, hat seine Ursprünge in den 1920er-Jahren. Am 29. Oktober 1923 wurde in Berlin die erste reguläre Rundfunksendung Deutschlands ausgestrahlt. Aber schon 1920 schickten unternehmungslustige Angestellte der Reichspost ein Testprogramm über den Äther. Zwei Tage vor Heiligabend produzierten sie in Königs Wusterhausen ein Weihnachtskonzert, das in mehreren Ländern empfangen wurde.

Die Idee war schon älter. Das erste Weihnachtskonzert der Radiogeschichte strahlte der kanadische Rundfunkpionier Reginald Fessenden am 24. Dezember 1906 aus. In seinem Sender in Brant Rock bei Boston spielte er zuerst eine Phonograph-Walze mit Händels „Largo“ ab. Dann intonierte er ein Kirchenlied auf der Geige und sang ein zweites selbst. Den Abschluss bildete ein Spruch aus der Weihnachtsgeschichte nach Lukas. Das Konzert wurde, wenn überhaupt, nur von Funkern in Schiffen auf dem Ozean gehört.

In den Jahren danach entwickelte sich die drahtlose Telefonie, wie sie damals genannt wurde, langsam weiter. Im Februar 1913 organisierte der Telefunken-Geschäftsführer Hans Bredow einen Radio-Versuch in New York. Presseleute hörten in einem Hotel per Kopfhörer Schallplatten und Vorträge, die von außerhalb gefunkt wurden. 1916 übertrug eine Station in  New York die Resultate der amerikanischen Präsidentschaftswahl. 1917 betrieb Hans Bredow an der Front des Ersten Weltkriegs in Frankreich einen kurzlebigen Soldatensender.

Im August 1920 strahlte die Station 8MK in der Autometropole Detroit zu festen Zeiten Wort- und Musikprogramme aus. Bei der Präsidentschaftswahl vom 2. November 1920 startete der Sender KDKA in Pittsburgh. Er gehörte dem Elektrokonzern Westinghouse und war das erste kommerzielle Rundfunkunternehmen in den USA. Der erste Gesangsstar wurde am 15. Juni 1920 von England aus übertragen. In Chelmsford nordöstlich von London trat die Sopranistin Nellie Melba in einem Programm der Firma Marconi auf.

Ein Lichtbogensender von 1919 für Schiffe. Im linken Teil wird der Lichtbogen aufgebaut.

Auch in einer deutschen Station wurde Musik gemacht. Sie stand in Königs Wusterhausen südöstlich von Berlin. 1916 nahm sie als militärische Funkstelle den Betrieb auf. Ab 1919 nutzte sie die Post für den drahtlosen Telegramm-Dienst; außerdem gingen Wetterberichte, Pressemeldungen und Wirtschaftsnachrichten hinaus. Anfang 1920 beauftragte Hans Bredow, inzwischen Ministerialdirektor im Postministerium, die Funkstelle, Versuche mit drahtloser Telefonie anzustellen. Benutzt wurde ein Lichtbogensender der Firma Lorenz.

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Station pflegten die Hausmusik, und neben Sprache und Schallplatten ging manche Melodie durch den Äther. Belegt sind ein Mundharmonika-Solo und Geigenstücke. So bildete sich eine kleine internationale Hörergemeinde heraus. Für Mittwoch, den 22. Dezember 1920, nahm sich der leitende Ingenieur Erich Schwarzkopf etwas Besonderes vor: ein Weihnachtskonzert. Schwarzkopf selbst spielte die Violine, zwei Kollegen begleiteten ihn mit einem Cello und einem Harmonium.

Das Programm begann um 14 Uhr mit den Worten von Erich Schwarzkopf: „Hallo, hier Königs Wusterhausen auf Welle 2.700. Meine Damen und Herren, zum Zeichen, dass unsere Station jetzt großjährig geworden ist und nicht mehr als Versuchskarnickel dienen wird, wollen wir Ihnen ein kleines bescheidenes Weihnachtskonzert senden.“ Es folgten „Stille Nacht“ und andere Lieder zum Fest sowie zwei Märsche von Richard Wagner. Das Konzert endete nach einer Stunde mit „Eine feste Burg ist unser Gott“ und Weihnachtsgrüßen von Schwarzkopf.

Station Königs Wusterhausen heute (Foto Clemensfranz CC BY-SA 3.0 seitlich beschnitten)

In Deutschland wurde es nur von Funkstellen der Post und der Reichswehr wahrgenommen – private Empfänger gab es noch keine. Jenseits der Grenzen hörten aber auch Amateurfunker zu; anschließend schickten sie begeisterte Briefe nach Königs Wusterhausen. Im März 1921 produzierte das Mini-Orchester ein Osterprogramm; drei Monate später übertrug die Station aus der Berliner Staatsoper eine Aufführung von „Madame Butterfly“. Bis zum 24. Januar 1926 sendete die Funkstelle die im In- und Ausland geschätzten Sonntagskonzerte.

Königs Wusterhausen gilt heute als Wiege des deutschen Rundfunks. Es gibt ein Museum; 2016 erhielt der Ort eine Meilenstein-Tafel vom Technikverband IEEE. Das erste reguläre Programm wurde aber am 29. Oktober 1923 in Berlin ausgestrahlt. Ab 20 Uhr sendete die Funk-Stunde AG im Vox-Haus am Potsdamer Platz eine Stunde Musik live und von Platten. Nun durften Bürger mit ordnungsgemäß angemeldeten Empfängern die Wellen ins Haus holen. Eine Einführung in die Radiowelt der 1920er-Jahre liefert ein kurzer Film.

Zur Zeit ist es geschlossen, doch bis August hält das Berliner Museum für Kommunikation die Ausstellung On Air zur deutschen Rundfunkgeschichte bereit. Später wandert sie ins Frankfurter Schwestermuseum. Ihr verdanken wir unser Eingangsbild (© Museumsstiftung Post und Telekommunikation). Es zeigt die Musiker von Königs Wusterhausen im Jahr 1923. Die Klarinette hält Obertelegrafensekretär Otto und die Violine sein Kollege Körber. Neben ihm steht Frau Weist vom Haupttelegrafenamt Berlin; der Mann am Klavier ist unbekannt.

Modell des Aufnahmestudios des Berliner Vox-Hauses im Deutschen Technikmuseum

Ein ganz besonderes Dokument bewahrt die Retro-Mediathek der ARD auf: ein Gespräch mit Radiopionier Hans Bredow aus dem Jahr 1954. Zum Schluss möchten wir unseren Lesern alles Gute und Gesundheit für die Weihnachtstage wünschen. Danach melden wir uns mit einem neuen Beitrag zurück.

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Ein Kommentar auf “Weihnachten mit Radio”

  1. Anja Titze sagt:

    Eine Konzertübertragung, die ohne Zweifel Geschichte geschrieben hat!
    Wen die Vorgeschichte der drahtlosen Übertragungstechnik interessiert, darf gern auch einen Blick nach Eberswalde wagen. Die Firma Lorenz betrieb dort ab 1909 einen Versuchssender für drahtlose Telefonie. Mit ihm entwickelte und erprobte sie Komponenten, die später auch in Rundfunksendern zum Einsatz kamen, z.B. der erwähnte Lorenz-Poulsen-Lichtbogensender in Königs Wusterhausen. Das Museum Eberswalde hat dazu aktuell eine Sonderausstellung (s. Link).

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