Wenn die Maschinenmenschen marschieren

Geschrieben am 17.05.2024 von

Der Fortschritt in der Künstlichen Intelligenz brachte es mit sich: Alle paar Monate lesen wir von einer drohenden KI-Herrschaft. Heute wollen wir aber den hundertsten Geburtstag der Roboter-Polizei feiern. Im Mai 1924 beschrieb der Autor und Verleger Hugo Gernsback in der amerikanischen Zeitschrift „Science and Invention“ einen eindrucksvollen Automaten. Er erregte auch in Deutschland Aufsehen.

Der Himmel ist blutrot, wir sind in Berlin. Rechts steht, siehe Eingangsbild, die Siegessäule, links erkennt man die Kuppel des Reichstags, vor dem sich die Säule bis 1939 befand. Im Vordergrund rollt ein übermannshoher Roboter heran. Seine Scheinwerfer-Augen leuchten nach unten, an den Armen kreisen Räder mit gefährlichen Bleikugeln.

Diese Szene schmückte 1924 kurz vor Weihnachten das Cover der populären Zeitschrift „Die Woche“. Es verwies auf einen Artikel im Inneren des Hefts über Erfindungen der Zukunft. Zu ihnen gehörte auch unser Roboter, der Banden bekämpft, Banken bewacht und Gebäude beschützt. Er entsprang nicht dem Kopf eines „Woche“-Redakteurs, sondern wurde in New York erdacht. Ein ähnlicher Maschinenmensch zierte im Mai 1924 das Magazin „Science and Invention“; die Titelseite nannte ihn einen Radio-Polizei-Automaten.

Hugo Gernsback in den 1920er-Jahren

Science and Invention behandelte das Neueste aus der Wissenschaft und der Technik, dazu kamen visionäre Schilderungen und Geschichten. Der Herausgeber Hugo Gernsback wurde am 16. August 1884 als Sohn eines Weinhändlers in Luxemburg geboren. Er studierte kurze Zeit am Technikum von Bingen, 1904 wanderte er nach Amerika aus und startete in New York einen Versandhandel für Rundfunkartikel. Ab 1908 gab er eine Zeitschrift „Modern Electrics“ heraus. Es folgten der „Electrical Experimenter“ und 1920 „Science and Invention“.

Für „Modern Electrics“ verfasste Gernsback 1911 eine technikorientierte utopische Erzählung Ralph 124C 41+, die mehrere Teile umfasste. Ab 1926 sammelte er solche Geschichten in der Zeitschrift Amazing Stories. Literarische Zukunftsvisionen waren nicht neu, man denke an Autoren wie Herbert George Wells oder Kurd Laßwitz, doch Hugo Gernsback begründete die Science-Fiction, wie wir sie kennen. Hier sehen wir ihn 1965 in einem Film der BBC; er taucht bei Minute 2:15 auf. Gernsback starb am 19. August 1967 in New York.

Die Titelseite der Zeitschrift „Science and Invention“ vom Mai 1924

Der Radio-Polizei-Automat von 1924 war ebenfalls eine Gernsback-Schöpfung, der Text über ihn in „Science and Invention“ füllte allerdings nur eine Seite. Wir lesen dort, dass er einen Benzinmotor mit 20 bis 40 PS besitzt und sich auf Raupenketten bewegt. Er hat keine eigene Steuerung, sondern wird von Menschen per Funk gelenkt. Sie geben Befehle über den eingebauten Lautsprecher und bedienen die Waffen des Automaten, die Bleikugeln an den Armen und den Tank mit Tränengas. Die Scheinwerfer im Kopf ermöglichen Nachteinsätze.

Als Hauptgegner des mechanischen Polizisten sah Gernsback den Mob; darunter verstand er eine zerstörungswütige Menschenmenge. Es ist unbekannt, wie er zu solchen Ängsten kam; 1923 und 1924 gab es in den USA keine größeren sozialen Konflikte oder Streiks, die zum „Science and Invention“-Artikel passen. Technisch stand der Automat in der Tradition der Dampfmenschen, die wir bereits in unserem Blog untersuchten. Die Raupenketten an seinen Füßen erinnern natürlich an die Panzer des Ersten Weltkriegs.

Das Gegenstück von Heft 50 (1924) der deutschen Illustrierten „Die Woche“

Erstaunlich ist, dass der Roboter danach in vier deutschen Publikationen auftauchte. Die Redakteure hielten sich an die Grafiken aus „Science and Invention“ und übersetzten die englischen Bezeichnungen. Wir wiesen bereits auf „Die Woche“ hin, die Ende 1924 den Automaten von Amerika nach Berlin versetzte. Über ihren Autor, einen Professor Schanz, wissen wir nichts. Die vermutlich zweite Veröffentlichung erfolgte im Jahrbuch der Technik für 1924/1925. Der Schriftsteller John Fuhlberg-Horst machte aus Gernsbacks kurzem Text einen Zweieinhalb-Seiten-Artikel mit einem richtigen kleinen Krimi.

Der dritte Beitrag stammte vom Berliner Autor Karl Trautwetter; er stand am 12. August 1925 in der Zeitschrift Illustrierte Technik für jedermann und beschränkte sich auf Gernsbacks Bilder. Das Tränengas verwandelte sich in ein eher harmloses „Stink-Gas“. Dieses finden wir auch in einem längeren Artikel „Technische Phantasien“ von Albert Neuburger. Velhagen & Klasings Monatshefte druckten ihn Anfang 1927. Neuburger und seine Frau erlitten später ein trauriges Schicksal, von dem ein Stolperstein in Berlin-Wilmersdorf kündet.

„Die Woche“ benutzte auch Gernsbacks Grafik vom Aufbau des Automaten.

Der Radio-Polizist beeinflusste höchstwahrscheinlich die Drehbücher zweier Roboter-Filme, die wir ebenfalls im Blog aufgriffen. „Der Herr der Welt“ von Harry Piel brachte 1934 einen bösen Super-Automaten, der sich dann selbst zerstört. „Das Ende einer Sensation“ aus der Sowjetunion zeigte 1935 Maschinenmenschen, die gegen Arbeiter kämpfen sollen. Diese können sie per Funk stoppen und auf die Kapitalisten lenken. In abgewandelter Form lebt Hugo Gernsbacks Konzept in der Künstlichen Intelligenz weiter. Die Warnungen vor einer künftigen Machtübernahme der KI erscheinen uns aber etwas übertrieben.

Garantiert freundliche Roboter trifft man am Sonntag zum Internationalen Museumstag im HNF. Es öffnet um zehn Uhr, der Eintritt ist frei. Unseren Lesern und Leserinnen wünschen wir alles Gute für die Pfingsttage, wir melden uns gleich anschließend zurück.

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