Das Jahrhundert des Ralph Baer

Geschrieben am 04.03.2022 von

Am 8. März würde Ralph Baer, falls es ihn noch gäbe, hundert Jahre alt werden. Der 1922 in Pirmasens geborene und 2014 in Amerika verstorbene Ingenieur erfand das Videospiel für zuhause. Seine Schaltung kam 1972 in Gestalt der Konsole Odyssey auf den Markt. Sie enthielt analoge Elektronik, prägte aber auch die Welt der digitalen Spiele.

Geboren wurde er am 8. März 1922 im pfälzischen Pirmasens; der Vater betrieb dort eine Gerberei. Rudolf Heinrich Baer wuchs aber in Köln auf; die Oberrealschule musste er mit vierzehn Jahren verlassen, weil die Familie jüdisch war. Sie konnte aber 1938 in die USA emigrieren. Hier wurde Rudolf Heinrich zu Ralph Baer.

In seinem Wohnsitz New York arbeitete er in der Fabrik. Zufällig stieß er auf eine Anzeige für einen Fernkurs zur Radio- und Fernsehtechnik. In den späten 1930er-Jahren gab es in der Stadt schon einen TV-Sender. Ralph Bear absolvierte den Kurs mit Erfolg; 1940 erhielt er eine Stelle als Rundfunkmechaniker. 1943 wurde er eingezogen und diente in England und in Frankreich. Er betreute eine Sammlung von Geschützen und kleinkalibrigen Waffen von den Fronten des Zweiten Weltkriegs und hielt dazu Lehrgänge ab. 1946 war er wieder Zivilist.

Baer besuchte eine Fachschule für Fernsehtechnik in Chicago; von 1949 an war er in verschiedenen Elektronik-Unternehmen tätig. 1956 trat er in die Firma Sanders ein, die für das Militär elektronische Systeme baute. Er blieb bis zur Pensionierung 1987. Seit den 1970er-Jahren arbeitete er nebenher als freier Erfinder, was schließlich sein Hauptberuf wurde. 2005 stiftete er sein gesamtes Archiv der Smithsonian Institution in Washington. Ralph Baer starb am 6. Dezember 2014 in seinem Wohnort Manchester im US-Bundesstaat New Hampshire. Die Stadt setzte ihm ein Denkmal am Fluss Merrimack.

Elektronische Fernseher wie den RCA TRK-12 lernte Ralph Baer schon 1939 kennen. (Foto National Museum of American History, Smithsonian Institution)

Seine wichtigste Idee kam ihm am 31. August 1966. Er war auf einer Dienstreise in New York und wartete vor einer Fernbus-Station. Am nächsten Tag legte er seine Gedanken handschriftlich auf fünf Seiten nieder; sie sind im Nachlass erhalten. Baer erfand nicht das interaktive Spiel am Monitor; das gab es schon 1962 in Form des Computerprogramms Spacewar!. Seine Schöpfung ist die kleine und bezahlbare Apparatur, mit der man auf einem Fernseher graphische Elemente manipulieren kann, kurz, die Spielkonsole.

Noch 1966 entstand die erste Schaltung, im Frühjahr 1967 die zweite. In einem frühen Spiel schoss der User mit einem Kindergewehr Lichtflecke auf den Bildschirm, um bewegte Punkte zu treffen. Es war Ralph Baers Kollege Bill Rusch, der ein weiteres Element einführte, ein vom System gesteuertes Feld. Nun ließ sich ein Ping-Pong-Spiel realisieren, wie in einem Video von 1969 überliefert. Es umfasste zwei von den Spielern geführte Rechtecke (die Schläger) und ein kleines Quadrat (den Ball). Dieses flog zwischen den Rechtecken hin und her.

Ralph Baers Konzepte führten zu einem Prototypen, der „Brown Box“. Nach längerer Suche fand sich ein Unternehmen im US-Bundesstaat Indiana, das eine schönere Version für den Spielzeugmarkt erstellte. Magnavox, ein Hersteller von Unterhaltungselektronik, zeigte im Mai 1972 die Odyssey, bei uns als Odyssee bekannt. Im September startete der Verkauf; bis Weihnachten 1972 wurden 95.000 Stück abgesetzt. Der Preis betrug 99,95 Dollar, wer einen Fernseher dazu nahm, zahlte nur fünfzig Dollar.

Ralph Baer 1972 oder 1973. Das Foto und weitere Bilder schickte er 2003 dem HNF.

Bis zum Ende der Produktion 1975 gingen rund 350.000 Konsolen über den Ladentisch. Schon bei den Vorführungen im Mai 1972 sah der Ingenieur Nolan Bushnell das Gerät. Es inspirierte ihn zu einer digitalen Odyssey-Kopie für Münzautomaten. Ab Dezember lieferte seine Firma Atari Pong aus, der Rest ist Computergeschichte. Da Bushnell sich nicht um die Rechte kümmerte, kam es zum Patentprozess. 1974 einigte man sich außergerichtlich. Atari überwies 700.000 Dollar an Magnavox. Insgesamt brachten die Lizenzgebühren aus der Spielebranche dem Unternehmen Millionen ein.

Ralph Baers Konsole entstammte der analogen Elektronik mit diskreten Transistoren auf gedruckten Schaltungen Ab 1975 folgten verbesserte Odyssey-Modelle mit Mikrochips. Anfang 1979 erschien in den USA Odyssey²  mit einem Acht-Bit-Prozessor von Intel; das Schwestermodell G7000 von Philips – der Konzern hatte Magnavox übernommen – war im Dezember 1978 in Europa erhältlich. Baer setzte sich sehr für die neue Konsole ein; er betrieb inzwischen neben der Arbeit eine Beratungsfirma, man kann sich denken, wofür.

Die R. H. Baer Consultants brachten von den 1970er- bis in die 2000er-Jahre eine Vielzahl von elektronischen Apparaten und Spielen auf den Weg. Das bekannteste war Simon oder Senso, wie es in Deutschland hieß. Es basierte – manchmal kehrt sich die Geschichte um – auf einem Atari-Automaten namens Touch-Me, doch passte Baer bei den Patenten auf. Darüber hinaus erdachte er sprechende Teddybären und intelligente Fußmatten. Das Video zeigt ihn 2009 in der Werkstatt inmitten seiner Kreationen.

Der Erfinder in der Werkstatt. Das kugelförmige Gerät ist das Spiel „Computer Perfection“.

Im Alter erhielt Ralph Baer die verdiente Anerkennung und von Präsident George W. Bush die nationale Technik-Medaille. 2006 besuchte er das Computerspielemuseum in Berlin, das ebenfalls ein Video aufnahm. Zwei Jahre später war er in seiner Geburtsstadt Pirmasens; hier übergab er einen funktionsfähigen Nachbau der „Brown Box“. Wir bedanken uns beim Science-Center Dynamikum und bei Martina Overmann von der Firma ars publicandi für das Foto von Ralph Baer; es ist oben als Eingangsbild zu sehen.

Dem Berliner Museum verdanken wir ein Video, in dem er 1969 das Fernsehen der Zukunft erläuterte – das Ping-Pong-Spiel ist ein Ausschnitt daraus. Wir sehen schon ein Modem mit Akustikkoppler. Erhalten blieben ein Werbefilm für die Konsole Odyssey und ein Bericht über sie von 2005; darin tritt unter anderem Nolan Bushnell auf. Hier geht es zu einem Gespräch, das das Computer History Museum 2006 mit Ralph Baer führte, und das sind seine lesenswerten Erinnerungen. Unten folgen noch Bilder zu seiner Erfinderkarriere.

Ralph Baers erste Schaltung enthielt noch Röhren. Sie wurde mit einem Justiergerät für Fernseher verbunden. (Foto National Museum of American History, Smithsonian Institution)

Spielkonsole „Brown Box“ von 1967: die Kärtchen geben Schalterpositionen für diverse Spiele an. (Foto National Museum of American History, Smithsonian Institution)

1972 lag die aus der „Brown Box“ entwickelte Konsole Odyssey bzw. Odyssee vor.

1973 erhielten Ralph Baer und sein Arbeitgeber Sanders das US-Patent 3.728.480 für einen „Television Gaming and Training Apparatus“.

1978 brachte Philips die Spielkonsole G7000 heraus; in den USA hießt sie Odyssey².

Als freier Erfinder erdachte Ralph Baer das Memory-Spiel Simon mit 27 Zentimetern Durchmesser und vier Druckknöpfen. Die Firma Milton Bradley verkaufte es ab 1978.

Bei uns wurde Simon zu Senso – dies ist eine Miniaturausführung.

Kein Erfolg war 1979 Ralph Baers Spiel Maniac, das nervtötende Geräusche produzierte. (Foto National Museum of American History, Smithsonian Institution)

Das Museum für amerikanische Geschichte in Washington zeigt Ralph Baers Werkstatt. (Foto National Museum of American History CC BY-NC 2.0 seitlich beschnitten)

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Ein Kommentar auf “Das Jahrhundert des Ralph Baer”

  1. Wolfgang Nake sagt:

    Ralph Baer war ein Meister der analogen Schaltungstechnik. Ich habe den Brownbox/Odyssey-Nachbau gestartet und mich mit der Schaltungstechnik befasst. Zum Vintage Computing Festival Berlin, VCFB2021, habe ich eine Teilschaltung vorgestellt, die die Mittellinie erzeugt (Wall-Generator). Dazu braucht man insgesamt nur 6, in Worten sechs, Transistoren! Je 2 Transistoren erzeugen die eng tolerierten Bild- und Zeilen- Impulse. Diese Impulsgeneratoren enthalten, und das bereits Mitte der 60er Jahre!, ein komplementäres (pnp und npn) Transistorpärchen, welches total schmale und steile analoge Impulse (Fernsehnorm!) erzeugt.
    https://wiki.vcfb.de/2021/videospiele#the_wall_-_generator_hommage_an_ralph_baer
    Eine Suche nach vergleichbaren Schaltungen im Internet war bisher ergebnislos. Mit nur lediglich den letzten beiden Transistoren wird aus den Zeilenimpulsen die Mittellinie erzeugt; ein Meisterwerk und gleichzeitig ein tolles Lehrbeispiel für Impulsschaltungstechnik an Widerstands-Kondensatoren Netzwerken. Die Mittellinie wird durch die steilen Impulse scharf abgebildet. Die hochentwickelte Schaltungstechnik verkörpert eine wundervolle Epoche, die wohl nie wiederkommt, ebenso wie die der digitalen Schaltungstechnik der nachfolgenden Geräte wie PONG und dessen Nachfolger (Nachbauten ebenfalls beim VCFB 2021). Schaltungsprinzipien wie Modulo n+1 counter und slipping-counter, die die phantastischen Ballbewegungen, auch ballistische (REBOUND), ermöglichen, kennt heute leider niemand mehr.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.