Ist Sowas Denn Nötig?

Geschrieben am 05.03.2019 von

Die DBP, besser bekannt als die Deutsche Bundespost, liebte Abkürzungen, etwa ISDN. Das Integrierte Sprach- und Datennetz startete Postminister Christian Schwarz-Schilling vor dreißig Jahren auf der CeBIT in Hannover. Auf Englisch stand ISDN für Integrated Services Digital Network. Das neue Netz übertrug Telefon, Telefax, Texte und Daten. Mit ihm begann in Deutschland die großflächige Digitalisierung.

1943 wurde die Sprache digital. In jenem Jahr ging in den USA und England das geheime Verschlüsselungssystem SIGSALY in Betrieb. SIGSALY ist keine Abkürzung, sondern krudes Militärenglisch. Das in den Bell-Laboratorien entwickelte System ermöglichte im Zweiten Weltkrieg abhörsichere Telefonate zwischen den alliierten Kommandostellen. Es setzte schon analoge Töne in Zahlen um, die über große Entfernungen übertragen wurden.

1945 meldete der amerikanische Ingenieur John Pierce ein Patent für die Puls-Code-Modulation an. Ein ähnlicher Patentantrag kam 1946 von seinen Landsleuten Barney Oliver und Claude Shannon. Die Forscher beschrieben die Abtastung von Schallwellen an dicht benachbarten Zeitpunkten sowie die Umwandlung der so gewonnen Zahlenwerte zurück in Töne. Das Verfahren wurde die Grundlage der elektronischen Digitalisierung von Sprache. In den frühen 1960er-Jahren arbeitete die erste Telefonleitung in den USA mit jener Technik.

In den Siebzigern dachten die europäischen Postverwaltungen über Digitalisierung nach. Das beratende Kommittee der Internationalen Fernmeldeunion legte 1980 die passenden Regeln vor. Für Datenübertragungen weihte die Bundespost schon 1976 den digitalen Datex-L-Dienst ein; er basierte wie das Telefon auf festgelegten Leitungen. Im Juni 1980 folgte Datex-P mit Paketvermittlung; hier suchten sich die Datenblöcke selbst den Weg durchs Netz. Verschickt wurden maximal 48 Kilobit pro Sekunde.

In den 1980er-Jahren entwickelte sich die ISDN-Technik. Der SPIEGEL sprach zum ersten Mal 1984 über das Integrated Services Digital Network. International erschien das Kürzel 1972 in einem japanischen Papier; deutsche Übersetzungen waren das Integrierte Sprach- und Datennetz und das diensteintegrierte digitale Netz. Findige Köpfe schufen scherzhafte Lesarten wie „Ich Sehe Da Nichts“, „Innovationen Sind Dringend Notwendig“ oder „IBM Schafft Das Nicht“. Wohl aus Paderborn stammte „In Sachen Digitalisierung Nixdorf“.

Die Nixdorf Computer AG brachte bereits 1982 als erstes deutsches Unternehmen eine digitale Telefonanlage auf den Markt. Das Vermittlungssystem 8818 versorgte bis zu 600 Nebenstellen; spätere Erweiterungen ließen 4.000 Teilnehmer zu. Oben ist das zugehöriges Digifon – es stammt aus der Ausstellung „Der gläserne Computer“. An den ISDN-Pilotprojekten in Mannheim und Stuttgart beteiligte sich Nixdorf mit 600 Geräten zum Telefonieren, für Bildschirmtext und zur Textverarbeitung. Im März 1988 lagen das Textendgerät Digitex und das Bildtelefon Megatel vor.

Ein Jahr später, am 8. März 1989, eröffnete Postminister Christian Schwarz-Schilling das ISDN-Zeitalter; Schauplatz war die Computermesse CeBIT. Freigeschaltet wurden acht Teilnetze in Hannover, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, München, Nürnberg und Stuttgart. Zur Feier des Tages telefonierte Bundeskanzler Helmut Kohl – er war auch auf der CeBIT – via ISDN mit dem Frankfurter Oberbürgermeister Wolfram Brück. Einige Tage zuvor entstand ein Video in Berlin: Es zeigt ISDN-Hardware bei einer Präsentation der Post.

Das Digifon war das Endgerät des digitalen Vermittlungssystem Nixdorf 8818. (Foto: Jan Braun, HNF)

Vermutlich bemerkte Helmut Kohl am Telefon die rauschfreie Übertragung, eine Folge der ISDN-Digitalisierung. In der Grundversion bot das System zwei Leitungen mit 64 Kilobit pro Sekunde an; dazu kam ein Steuerkanal für 16 Kilobit pro Sekunde. Dieselben Leitungen ermöglichten Faxen, Btx, Teletex – ein Nachfolger des Fernschreibers – und die reine Datenübertragung. Angekündigt wurde außerdem ein Breitband-ISDN für videogestützte Anwendungen. 1989 galt ISDN jedenfalls als die Zukunft der Telekommunikation.

Die Zukunft ließ sich Zeit. Im September 1989 zählte der SPIEGEL erst 1.500 Teilnehmer in den acht ISDN-Regionen. Fördermaßnahmen liefen an, und 1996 senkte die von der Post abgespaltene Deutsche Telekom gar die Preise: der Standardanschluss kostete statt 64 DM nur noch 46,40 DM monatlich. Anfang 1999 wurden die Gebühren weiter reduziert, und am zehnten Geburtstag von ISDN freute sich die Telekom über 4,4 Millionen Basisanschlüsse. Zu jenem Zeitpunkt waren sämtliche Vermittlungsstellen im Lande digitalisiert.

Den Höhepunkt dürfte das System 2007 mit 13 Millionen Basisanschlüssen erreicht haben. 2013 sank die Zahl auf neun Millionen. Seitdem ging sie durch zunehmende Mobiltelefonie und den Wechsel aufs Internet weiter zurück. Aus der totalen Abschaltung 2018 wurde dann nichts, doch am Ende des laufenden Jahres wird ISDN vermutlich Geschichte sein. Hier ist noch ein Werbefilm von 1992, als die Digitalisierung noch jung war. Unser Eingangsbild zeigt das gläserne Digifon des Nixdorf ISDN-Systems 8818 (Foto: Jan Braun, HNF).

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5 Kommentare auf “Ist Sowas Denn Nötig?”

  1. Ulrich Klotz sagt:

    Ist das berühmte Interview mit Helmut Kohl über die Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Datenautobahn nicht auch jetzt gerade 25 Jahre her? Das könnte auch einen netten Jubiläumsartikel abgeben…

    1. HNF sagt:

      Stimmt, das war am 4. März 1994: https://www.nachrichtenpolizei.de/2013/06/20/helmut-kohl-und-das-neuland-1994/ Über die Datenautobahn und auch Kohls Zitat hatten wir bereits einen Beitrag: https://blog.hnf.de/fahrn-fahrn-fahrn-auf-der-datenautobahn/

      1. Ulrich Klotz sagt:

        Ok, gerade gesehen, aber ich finde, dass Kohl-Zitat muss man wörtlich bringen, es ist viel, viel schöner. Witzig, das mit den 25 Jahren habe ich einfach nur so gefühlsmäßig geraten. Und ich finde, das Zitat hätte heute noch mal eine schöne Würdigung verdient, weil die Situation ganz ähnlich ist wie damals: die Politik hinkt um Jahre hinterher…

  2. Ulrich Klotz sagt:

    … überhaupt passierte vor ca 25 Jahren so allerlei Lustiges. Ich erinnere mich an eine Podiumsdiskussion in München, wo ich mit dem Deutschland-Chef von Microsoft und einem sehr, sehr wichtigen deutschen Professor zusammen saß. Beide bezeichneten das Internet als vorübergehende Modeerscheinung, die bald wieder verschwinden werde…

  3. Die Filmproduktion von 1992 ist ja genial. Obwohl ich mich natürlich auch des Alters wegen an solche Filmchen erinnern kann, ist es doch immer wieder lustig, so etwas zu sehen.

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