James Powers und seine Lochkarten
Geschrieben am 03.03.2023 von HNF
Es gab nicht nur Herman Hollerith und seine Karten. Die amerikanische Volkszählung von 1910 wurde mit Geräten ausgewertet, die der Ingenieur James Powers entwickelt hatte. 1911 machte er sich selbstständig und stellte ebenfalls Lochkarten-Technik her. 1927 übernahm die Firma Remington Rand sein Unternehmen. Dessen Maschinen liefen noch lange unter dem Namen Powers, auch in Deutschland.
Wer unseren Blog liest, der weiß es: Bevor sich ab Mitte des 20. Jahrhunderts Computer und Magnetbänder verbreiteten, gab es schon eine Technik zur Datenverarbeitung. Sie nutzte die vom Deutschamerikaner Herman Hollerith erfundene Lochkarte. Beteiligt waren die Firmen Tabulating Machine Company oder TMC und Computing-Tabulating-Recording Company, abgekürzt CTR. Letztere nahm 1924 den Namen International Business Machines Corporation an, kurz IBM.
Herman Holleriths Erfolgsgeschichte begann mit der US-Volkszählung von 1890. Ihre Daten wurden auf Lochkarten übertragen und mit Maschinen gezählt, die Hollerith konstruierte. 1896 gründete er die Firma TMC, bei der Volkszählung im Jahr 1900 vermietete er seine Geräte ans Census-Büro in Washington. 1902 wurde aus dem temporären Büro ein festes Amt. Sein Direktor Simon North hielt die Mieten der TMC allerdings für zu hoch. 1910 stand die nächste Volkszählung an, und North griff auf Technik aus dem eigenen Hause zurück.
Das Volkszählungsamt besaß seit 1907 eine eigene Werkstatt. Dort saß James Powers. Er wurde am 12. Februar 1871 im ukrainischen Odessa geboren, absolvierte eine technische Schule und war an der Universität tätig. Sein Vater könnte ein englischer Ingenieur gewesen sein. 1889 emigierte Powers nach Amerika und ließ sich in New York nieder. Dort arbeitete er für mehrere Firmen und befasste sich auch mit Büromaschinen. 1907 wurde er US-Bürger und trat in die Dienste des erwähnten Amts. Hier ist ein Foto von ihm aus jener Zeit.
Powers entwickelte einen Kartensortierer und einen elektrisch angetriebenen Kartenlocher. Der Locher von Herman Hollerith, wie er 1910 zur Verfügung stand, stanzte die Spalten der Karte nacheinander; das geschah mit zwölf Tasten. Der Powers-Locher besaß eine Tastatur mit zwanzig Spalten und zwölf Reihen. Der Bediener oder die Bedienerin drückte zunächst die Tasten an den vorgesehenen Stellen der Lochkarte nieder; danach wurden gleichzeitig die Löcher gestanzt. Ein Nachteil war, dass das Gerät kompliziert war und oft ausfiel.
1911 gründete Powers in Newark bei New York die Powers Tabulating Machine Company. 1914 wechselte sie unter dem Namen Powers Accounting Machine Corporation in den New Yorker Stadtteil Brooklyn. Das zentrale Gerät war eine druckende Tabelliermaschine. Sie las die Lochkarten nicht elektrisch, sondern rein mechanisch ab. Ebenso mechanisch verlief die Übertragung der abgelesenen Daten in das Druckwerk. Auf diese Weise umging Powers die Patente von Herman Hollerith für eine elektrische Abfühlung.
Viel verdiente die Powers Accounting Machine Corporation aber nicht. 1918 zog sich James Powers zurück; er starb am 8. November 1927 in New York. Sein Unternehmen meldete schon 1920 Konkurs an und hangelte sich durch die nachfolgenden Jahre. 1927 wurde es vom Remington-Rand-Konzern übernommen; er vereinte den Schreibmaschinen-Hersteller Remington und die Büroartikelfirma Rand Kardex. 1950 erweiterte der Konzern den Bereich der Datenverarbeitung durch den Ankauf der Eckert-Mauchly Computer Corporation, wir schilderten es im Blog.
Wie der große Konkurrent CTR/IBM hatte Powers Ableger außerhalb der USA. 1915 startete die Accounting and Tabulating Machine Company of Great Britain, 1922 folgte die Société Anonyme des Machines à Statistiques in Frankreich, bekannt als Samas. Nach diversen Verschmelzungen und Umbenennungen entstand 1948 die Firma Powers-Samas Accounting Machines. 1959 fusionierte sie mit der British Tabulating Machine Company – sie vertrieb Hollerith-Technik – zur International Computers and Tabulators Ltd. oder ICT.
1913 führte James Powers seine Lochkarten-Technik in Berlin vor, worauf es zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Addier- und Sortiermaschinen mbH kam. Ein Patentprozess und der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg lähmten aber das Geschäft. Nach Übernahme der amerikanischen Mutter durch Remington Rand etablierte sich in Berlin die Powers GmbH. Ab 1934 arbeitete sie mit der Firma Siemens & Halske zusammen. 1940 hatte die Powers GmbH aber nur 13 Prozent des Umsatzes des innerdeutschen Rivalen DEHOMAG.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Powers-Maschinen von der Remington Rand GmbH in Frankfurt am Main angeboten und betreut. Sie war 1951 auch der Arbeitsplatz des jungen Heinz Nixdorf und seines Mentors Walter Sprick. Der Physiker baute zuvor in Kiel das erste elektronische Rechengerät in Deutschland. Die Sprick-Maschine half einem Tabellierer von Powers, der in einer Versicherung stand, beim Multiplizieren. Bis Ende der 1950er-Jahre erwähnte die Fachpresse hin und wieder das „Powers-Verfahren“, danach beherrschte IBM Deutschland unangefochten den Lochkarten-Markt.
Wer sich im Internet Archive anmeldet, kann das Buch des Technikhistorikers Lars Heide über die Geschichte der mechanischen und elektromechanischen Datenverarbeitung lesen. Es enthält auch viele Informationen zu James Powers und seiner Firma. Dieser Film schildert ihre Technik in der Tschechoslowakei kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Unser Eingangsbild zeigt die Powers-Tabelliermaschine des HNF aus den späten 1920er-Jahren, im Foto unten sieht man einen Kartendoppler der Powers GmbH etwa aus der gleichen Zeit. Er steht im Computermuseum der Fachhochschule Kiel.